News

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Sterben aus anthroposophischer Sicht

Das Forum der Sterbekultur beschäftigt sich seit 14 Jahren mit den Themen Tod und Sterben aus anthroposophischer Perspektive

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«Welten-Zeitenwende-Anfang»

Inhalt der Februar-Ausgabe ist der Blick auf die Weihnachtstagung am Goetheanum vom 26. bis 31. Dezember 2023, zu der die Goetheanumleitung und die Anthroposophische Gesellschaft in der Schweiz eingeladen hatten.

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Wie mich die Weihnachtstagung begeisterte

Die Anthroposophie selbst war jedoch schon immer Teil meines Lebens. Als Kind mit einem Waldorfhintergrund, Schüler einer Waldorfschule sowie Student der Uni Witten/Herdecke und auch in meiner ärztlichen Laufbahn war ich durch das erweiterte Menschenbild schon immer inspiriert und halte insgesamt viel von der Integrativmedizin.

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Schweizer Mitteilung

Schweizer Mitteilungen

Die Januar-Ausgabe von “Anthroposophie – Schweiz” startet mit Auftakt ins neue Jahr von Marcus Schneider

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Wozu brauchen wir eine Anthroposophische Gesellschaft?

Man wird nicht Mitglied einer gewöhnlichen Gesellschaft: Man fügt sich mit seiner eigenen menschlichen und kosmischen Wirklichkeit in dieses neue soziale Gebäude ein, nimmt daran teil und formt es immer wieder neu.

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Weihnachten

Die Raunächte - von der Wintersonnenwende über Weihnachten und Silvester bis Dreikönig -, sagenumwoben, urtümlich, geheimnisvoll.

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Relaunch von mourir.ch

Die französischsprachige Website mourir.ch wurde am 15. Dezember 2023 in frischem Kleid der Öffentlichkeit übergeben.

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Religion ist Gesprächspflege

»Was willst du tun?«

Christengemeinschaft

Bericht von Georg Dreißig

»Mit dem Hund spazierengehen.« In selteneren, kostbaren Augenblicken können wir uns die Frage nach dem, was wir tun wollen, aber wirklich ganz frei, unbestimmt von Aufgaben und Gewohnheiten stellen: wenn wir einer Verpflichtung Genüge getan haben, wenn eine Aufgabe erledigt, ein Dienst geleistet worden ist. »Was willst du tun?«

Das Erwachen zu dieser Fähigkeit, seine Ziele selbst zu bestimmen, charakterisiert den Eintritt ins Reich der Jugend. Erst der Jugendliche kann sich diese Frage ernsthaft und den eigenen Lebenssinn suchend stellen. Und es ist wunderbar, wenn in seinem Fall die Welt völlig offen, in vielen Farben und Düften und Klängen darauf antwortet, wenn sie hundert mögliche Wege anbietet und er, der Jugendliche selbst, es ist, der entscheidet, wohin er seine Schritte lenken, wofür er seine Kraft und sein Leben einsetzen will.

Wenn uns diese Frage in älteren Lebensjahren so ins Offene führt, an einem Punkt in der Biografie, an dem es nicht mehr um Berufsentscheidungen oder Familienplanung geht, kann uns ein Erschrecken ankommen, eine Hilf- und Haltlosigkeit, mit der wir erst lernen müssen umzugehen. Wir bemerken in solchen Lebenslagen vielleicht erstaunt, wie sehr uns selbst ungeliebte Gewohnheiten gestützt und gehalten haben und wie uns diese Stütze und dieser Halt jetzt fehlen. Wir müssen uns nötigen, die eingetretene Freiheit, die neu angebotene Jugend anzunehmen. Dann ist es hilfreich, ein lebendiges Bewusstsein davon zu haben, dass ich mit der Frage: »Was willst du tun?« immer schon eine Beziehung geöffnet habe zwischen meinem fragenden Ich und dem angesprochenen Du und mir von dem Austausch mit diesem Du jetzt Hilfe versprechen kann.

 

Wer ist »Du«?

Wer sich von dieser Aussage überraschen lässt, hat bisher etwas Entscheidendes in seinem Leben verträumt: die Wahrnehmung, dass wir unsere Ideen und Impulse immer aus dem Übersinnlichen schöpfen, und zwar aus einem Übersinnlichen, das weit mehr ist als unsere eigene, subjektive Vorstellungswelt, unser Assoziieren und Gedankenwälzen. Jenem Du, dem wir in diesem inneren Bereich begegnen und von dem wir Hinweise und Urteile empfangen, räumen wir selbstverständlich Autorität ein. Besonders deutlich wird uns das, wenn sie in Gestalt von Gewissensregungen auftreten und beispielsweise rückblickend feststellen: Das entspricht dir nicht. Das musst du wiedergutmachen. Es braucht nur wenig Nachsinnen, um zu bemerken, dass ich mich mit dem weisenden Du identischer fühle als mit dem Ich, als das ich gehandelt habe. Das heißt aber: Ich bin mit einem wichtigen Teil meines Wesens gar nicht selbstverständlich anwesend in dem, was ich am Tag tue, es sei denn, ich rufe diesen Wesensanteil, mein Du, bewusst in die jeweilige Lebenssituation herein.

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo deutlich wird, wieso bereits die alltägliche Frage »Was willst du tun?« die religiöse Sphäre öffnet: In mir selbst stoße ich auf die Notwendigkeit, mich mit einem höheren Wesen in Beziehung zu setzen, wenn ich meinen eigenen Alltag in mir gemäßer Weise meistern und verantworten will. Dieses höhere Wesen ist kein Gott, sondern das Menschlichste, das es an mir gibt: der Teil meiner selbst, der, noch ungeboren, von mir bewusst und aktiv in mein Leben hereingerufen werden muss, soll er denn dieses Leben gestalten und in der Welt erscheinen. Er ist frei von allem bereits Ausgeformten und irdisch Festgelegtem, ewig jugendlich.

 

Dem Wesen des »Du« nachspüren

Dieses »Du«, auf das ich in innerer Einkehr, im Gespräch mit mir selbst, stoße und das ich treffend auch »mein höheres Ich« nennen kann, hat keinen Leib. Woraus besteht es? Können wir überhaupt sagen, dass es besteht, dass es Sein hat? Es hat zweifellos Identität, ich erlebe es eindeutig als Ich, ein Selbst, das ich nicht mit anderen Ichen verwechsele. Zugleich ist es aber auch der Teil meines Wesens, der nach Zielen, Aufgaben, aber auch Anschauungen und Einsichten tastet, die mir entsprechen, mit denen ich mich identifizieren kann. Das Ich ist mit diesem Suchen identisch, es ist das Tasten nach dem, was es in sein Wesen aufnehmen, woran ich wachsen und mich entfalten kann.

Als Albert Schweitzer an einem Pfingsttag mit dem Impuls erwachte, Arzt in Afrika zu werden, da erlebte er dieses neue und überraschende Ziel doch nicht als fremd, sondern vom ersten Augenblick des Aufblitzens an als Teil seiner eigenen Identität. Wie selbstverständlich ordnete er fortan sein Leben den Bedürfnissen und Notwendigkeiten dieser neuen Identität unter. Wir hatten bemerkt, dass die Frage: »Was willst du tun?« bereits einen religiösen Charakter hat, weil sie mich in einen Austausch mit demjenigen Teil meines Wesens versetzt, der frei ist, ganz neue Entscheidungen zu treffen. In dem eben Ausgeführten können wir bemerken, dass auch dieses höhere Ich den Austausch sucht. Es atmet sich in vielfältige Ideen und Impulse ein und bewegt sie in sich. Vieles, von dem es sich so durchströmen lässt, gibt es wieder hin; manches aber bewahrt es, macht es sich zu eigen, sagt »Ich« dazu und macht es dadurch zu einem wesentlichen Teil seiner selbst.

Die Pflege der inneren Erfahrung durch den Kultus

Immer fassen wir unsere Ideale und Impulse im Übersinnlichen. Wir erheben uns fragend und Entscheidung suchend über uns selbst hinaus in die geistige Wirklichkeit. Indem wir einen Impuls fassen, uns mit ihm identifizieren und danach handeln, treten wir wiederum über uns selbst hinaus: Wir lassen ihn in die Erdenwelt gestaltend einströmen und in ihr wirksam werden. Vermittler zwischen den Welten sind wir, wesend und wirkend auf der Schwelle zwischen Himmel und Erde. Diese Schwelle, auf der wir als Menschen heute leben und wirken, dieses innere Gespräch in der Suche nach der eigenen Identität im Austausch mit Ideen und Idealen, die mein Ich dadurch konstituieren, dass ich aus freiem Willen Ich dazu sage, dieses nur im eigenen Inneren Erfahrbare, sie finden ihren sinnlichen Ausdruck im Kultus der Menschenweihehandlung. Der Kultus ist real, weil die Tatsachen und Ereignisse, die er darstellt, im Inneren des Menschen Wirklichkeit sind. Das innerlich Erfahrbare zu wecken und zu pflegen, ist seine Aufgabe.

Ein kurzer Blick auf die Menschenweihehandlung in diesem Sinn möge diese Betrachtung beschließen. In ihrem Spiegel zeigt sich die Bedeutung und Wirklichkeit dessen, worum wir im Alltag ringen, im Streben nach dem Identischwerden mit uns selbst. Unser innerstes Wesen tritt im Bild vor uns hin. Zugleich wird im Vollzug der Handlung verständlich, wie die eigenen Erfahrungen unserer Identitätssuche zusammenklingen mit göttlichen Wesenheiten und deren Absichten und Zielen, die in all unseren Ideen und Impulsen unsichtbar walten.

Im Evangeliumhören klingt die Frage mit: »Was willst du tun?« In Christus tritt uns das göttliche Wesen entgegen, das selbst so menschlich fragt und sich mit seinem Leben dem selbst gesteckten Ziel unterordnet. Er regt uns damit an, das eigene Fragen ernsthaft zu üben und die eigenen Ziele  treu zu befolgen. Wir können uns einmal darauf beschränken, mit dem Christusnamen allein denjenigen zu bezeichnen, der uns so frei und verantwortungsvoll zugleich fragen lässt und uns die Kraft spendet, das Beschlossene auch zu tun. Darin können wir sein Wesen ganz real erfahren.

In der Opferung erleben wir, was sich in unserer Suche nach dem Identifizieren mit einer höheren Idee in Wirklichkeit vollzieht: dass wir uns als Raum und Träger anbieten für göttliches Walten. Die Öffnung und Hingabe unserer Seelenkräfte für die göttliche Welt nennen wir opfern. Dieses Opfer wird erwidert mit einer ebensolchen Öffnung und Hingabe der göttlichen Wesen an uns. Wir können uns mit ihnen identifizieren, weil sie sich in diesem Vorgang auch mit uns identifizieren. Menschenopfer und Gottesopfer durchdringen einander. Wir wachsen über uns selbst hinaus und das göttliche Wesen und Walten wächst in uns hinein. Immer wenn wir einen neuen Impuls fassen – oder werden wir selbst von ihm ergriffen? –, findet ein solches Sich-einander-Öffnen und Ineinander-Eingehen statt. In der Menschenweihehandlung tritt dies anschaubar und wirksam vor unser wahrnehmendes Bewusstsein.

In der Wandlung tauchen wir ein in das Empfinden, dass diese Hingabe aneinander und ineinander ein gemeinsames Wirken möglich macht. Was hier vor uns und mit uns geschieht, geschieht zugleich in uns und durch uns. Wer sich identifiziert mit einem höheren Ziel und seine Kraft, ja sein Leben dafür einsetzt, steht bereits in dieser Wirklichkeit darinnen, die der Kultus im Wandlungsteil zum Erleben bringt. Von dieser Erfahrung spricht Paulus in seiner bekannten Aussage aus dem Brief an die Galater: »Ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.«

Die Kommunion schließlich deutet darauf hin und beauftragt uns, das, was wir in und mit dem Göttlichen erfahren haben, hineinzutragen in die Welt des Stoffes, dass es Erdenwirklichkeit werden kann. Dass unser Wirken heilsam für die Erde sei, ist die Segenskraft, die uns im Teil der Kommunion finden kann.

Die Tatsache, dass wir als Menschen auf der Schwelle zwischen Himmel und Erde leben und dort unsere Aufgabe zu erfüllen haben, steht immer schon im Hintergrund, wenn wir uns fragen »Was willst du tun?« und immer stehen im Hintergrund dazu die göttlichen Wesen, die sich mit uns als Menschen verbinden wollen, wenn wir es denn zulassen – in Freiheit und Verantwortung. Das Bewusstsein für dieses Leben und Handeln auf der Schwelle kann durch das Mitvollziehen der Menschenweihehandlung bestärkt werden. Die Stärke, die wir uns dort erringen, wird zum Segen, wenn sie einströmt in unser alltägliches Leben, unser alltägliches Fragen und Handeln. Denn im alltäglichen Leben fallen die Entscheidungen darüber, wie es weitergehen kann mit uns selbst und mit der Welt. »Was willst du tun?«

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