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«Das einzig Gesunde ist doch, allen Einfluß auf den Willen des anderen Menschen nur durch Erkenntnis hindurch zu bekommen. Erkenntnis soll etwas sein, wodurch sich die eine Seele mit der anderen verständigt.»

Rudolf Steiner, «Von Jesus zu Christus», GA 131, 7. Aufl. 1988, 1. Vortrag, Karlsruhe, 5. Okt. 1911, S. 47

Neustrukturierungen 1923

Auf dem Weg zur Weihnachtstagung

Rudolf Steiner
Rudolf Steiner

Durch das schnelle Wachstum weiterer anthroposophischer Aktivitäten in der Öffentlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg, der Dreigliederungsbewegung, der Gründung der Waldorfschule, der Gründung von Aktiengesellschaften (Der Kommende Tag AG, Futurum AG), Betrieben, Zeitschriften, Kliniken, therapeutischen Einrichtungen (Medizin), der Christengemeinschaft und von Forschungseinrichtungen, der Ausbreitung in Europa und Übersee, der Mitarbeit von Jugendlichen und Studenten und der Entstehung einer aktiven Gegnerschaft ist die 1913 für die Anthroposophische Gesellschaft geschaffene Organisationsform Anfang der 20er-Jahre ungenügend geworden. Die erste Mitgliederversammlung nach dem Krieg findet am 4. September 1921 statt, bei der Umstrukturierungen im Vorstand, die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft von Berlin nach Stuttgart und die Bildung des „Dreißigerkreises“ (auch „Vertrauenskreis der Stuttgarter Institutionen“ genannt) im Mittelpunkt stehen. Dieses Gremium mit Verantwortungsträgern in anthroposophischen Initiativen soll ein Vermittlungsgremium zwischen Vorstand (Carl Unger, Ernst Uehli, Emil Leinhas) und Mitgliedschaft werden (1921 ca. 8.200 Mitglieder).

Die Verhandlungen in Deutschland bringen in den nächsten beiden Jahren keine ausreichende Konsolidierung. Der Brand des ersten Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23 wird zum Zeichen für den nicht vorhandenen inneren Zusammenhalt und der wachsenden aktiven Gegnerschaft, die Steiner u.a. auf mangelnde Eigenständigkeit der Mitglieder in der Vertretung der Geisteswissenschaft und Berufung auf seine Autorität zurückführt. Das folgende Jahr 1923 wird zum Jahr maßgeblicher Umwandlungen.

In einem ersten Schritt werden in diesem Jahr eigenständige Landesgesellschaften gegründet. Vorangegangen war die Gründung der Schweizer Landesgesellschaft im Oktober 1920, ab Mai 1922 mit Albert Steffen als Generalsekretär; es folgen 1923 die Landesgesellschaften in Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Norwegen und Österreich. (In Schweden hatte sich bereits 1913 und in Großbritannien während des Weltkrieges eine Abteilung der Anthroposophischen Gesellschaft gebildet.)

Ein von Ernst Uehli 1923 gegründeter, nur kurz bestehender kleinerer Ausschuss des „Dreißigerkreises“ (Siebenerkreis) sollte die Konsolidierung der Gesellschaft in Deutschland voranbringen (Mitglieder neben Ernst Uehli: Herbert Hahn, Caroline von Heydebrand, Eugen Kolisko, Maria Röschl, Karl Schubert, Erich Schwebsch, Walter Johannes Stein, Otto Palmer). Auch dies gelingt nicht, sodass ausführliche Verhandlungen mit Rudolf Steiner und eine Delegiertentagung im Februar 1923 in Stuttgart nötig werden. Ergebnis ist eine Differenzierung der deutschen Landesgesellschaft, da die neu in die Gesellschaft kommenden jungen Menschen und Studenten mit ihren Anliegen und ihrem Verständnis von Anthroposophie in der bestehenden Gesellschaft keinen Platz finden. Rudolf Steiner rät ihnen zur Gründung einer eigenen Gesellschaft. Diese „Freie Anthroposophische Gesellschaft“ konstituiert sich während der Delegiertenversammlung im Februar 1923 in Stuttgart und erhält u.a. das Recht, selbst Mitglieder aufzunehmen. Sie wird 1931 aufgelöst.

Ferner wird in Deutschland der Vorstand erweitert und ein Kreis von Vertrauenspersönlichkeiten gebildet, der die Repräsentanz der Gesellschaft und die Mitgliedsaufnahme übernehmen soll. Vom 20.–22. Juli 1923 findet eine Delegiertentagung in Dornach statt, in der der Wiederaufbau des Goetheanum besprochen und die Weihnachtstagung zur Gründung einer internationalen Anthroposophischen Gesellschaft in Aussicht genommen wird. Zwischen 1921 und 1923 erscheinen einzelne vom Vorstand herausgegebene Mitteilungsblätter.