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aus Carl Unger – Schriften I

"Ungers «Philosophie des Widerspruchs» zählt zu den originellen philosophischen Leistungen des 20. Jahrhunderts. Sie führt die Modifizierung, die Hegel an den logischen Grundgesetzen vornahm, weiter und erhärtet die Resultate [der] Anthroposophie. Für die kommenden Auseinandersetztung mit der materialistischen Dialektik (Leninismus) wird [die Schrift] Ungers von fundamentaler Bedeutung sein können. In seiner Lehre von der Zahl als «Faktor» der «Realität» hat Unger fruchtbare Keime gelegt für einen spirituellen Zahlbegriff."

«Die Identität von Denken und Sein ist Erkenntnis. Bleiben wir auf dem einseitigen Standpunkt einer zudem einseitig spezialisierten Logik, so ist diese Identität Widerspruch. Der Widerspruch hebt sich auf, wenn er in der Erkenntnis sich als Sein, als Wirklichkeit, setzen läßt. Im Begriff des Begriffs ist dies für einen Punkt, für das reine 'Ich' erreicht.»

 

Dr. Carl Unger, 1911

Wesen des Widerspruchs

Gedanken zur Philosophie des Widerspruchs

"Die Widersprüche des Lebens und der menschlichen Seele sind uns so geläufig, daß wir gewohnt sind, davon zu sprechen als einem festen Bestandteil unseres Weltbildes. Alle Darstel­lungen des Lebens und vornehmlich die künstlerischen, ver­wenden mit Vorliebe dieses Motiv, und doch, wenn wir genau zusehen, so dienen solche Darstellungen und alle Aufdeckung von Widersprüchen dazu, sie in höherer Art zu vereinen, sei es in wissenschaftlicher Synthese, oder in künstlerischer Ver­klärung. So erfreulich es uns sein kann, das farbige wider­spruchsvolle Leben in seinem Wechselspiel zu betrachten, so sehr wir empfinden, wie sich darin das Leben stets neu gestal­tet, um sich wieder zu vernichten, so haben wir doch das Be­dürfnis, wenn es sich um wissenschaftliche Lebensdeutung und Welterklärung handelt, daß in einem «System» kein Widerspruch vorhanden sei. Daß der materialistische Monis­mus als einheitliche, widerspruchsfreie Welterklärung gerade heute Triumphe feiert, wo uns die Widersprüche mit solcher Kraft im Leben des Einzelnen und der Völker als Wirklichkeit sich aufdrängen, das kann zu denken geben. Es steht hinter der «einheitlichen» Naturbetrachtung der Gedanke, daß allem Geschehen Naturgesetze zu Grunde liegen und daß die Wider­sprüche Täuschungen sind, welche mit tieferem Verständnis verschwinden müssen. Einer solchen Auffassung erscheint der geistige Monismus, die Anthroposophie oder Geisteswissen­schaft, voll von Widersprüchen und gewiß werden von diesem Standpunkt aus die ersten beiden Kapitel dieser erkenntnis­theoretischen Begründung der Geisteswissenschaft durchaus abgelehnt, denn sie verwenden offenkundig und ausgespro­chenermaßen die größten Widersprüche. Das sind Gründe genug, uns mit dem Wesen des Widerspruchs zu beschäftigen, und es soll versucht werden, in kurzen Umrissen dem Wesen des widerspruchsfreien Denkens nachzugehen, um die Wider­sprüche der ersten Kapitel zu rechtfertigen.

... Wo wahre Wirklichkeit auf unser Bewußtsein wirkt, da erscheint sie als Widerspruch; mächtig ragt er hereinaus den höheren Welten in unser Leben. Frei müssen wir streben, ihn aufzunehmen in unser wahres Wesen, sonst wirkter als äußere Macht. Wir müssen lernen, unser gewöhnliches Bewußtsein zu opfern, um den Sinn des Menschenwerdens zu erfüllen. Das Walten der höheren Welten, deren letzte Schöpfertat das menschliche «Ich» ist, wie es zugleich die erste Schöpfertat des Menschen ist, läßt das «Ich» nicht im «Sein» erstarren und stellt als stärksten Ausdruck der wahren Wirklichkeit, die allein in den höheren Welten zu finden ist, in das Leben den Tod.

Wir können einsehen, daß der Tod die wahre Wirklichkeit des Lebens ist. So bedeutet auch für das Leben der Menschheit wahre Wirklichkeit der Tod, der im Mittelpunkt ihres Werdens steht, der Tod auf Golgatha.

(aus Carl Unger, Schriften I, Gedanken zur Philosophie des Widerspruchs, Stuttgart 1964, S. 147f.)

Carl Unger

Carl Unger

*28. März 1878 in Cannstatt bei Stuttgart
† 4. Januar 1929 in Nürnberg

"Die 'Philosophie der Freiheit' ist ein Einweihungsbuch. Auf ihren Wegen löst sich das Denken von der Gebundenheit an die physische Organisation und durchdringt sich mit Willenskräften, die dadurch aus der Unbewußtheit erlöst werden. Rudolf Steiner führt das Philosophische bis an die Schwelle der geistigen Welt. Das ist die Mission, die das Philosophische in der Gegenwart besitzt."

Carl Unger, Aufruf zur Bildung einer philosophischen Arbeitsgemeinschaft, 1926.