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Carl Unger

Carl Unger

*28. März 1878 in Cannstatt bei Stuttgart
† 4. Januar 1929 in Nürnberg

 

 

"Die 'Philosophie der Freiheit' ist ein Einweihungsbuch. Auf ihren Wegen löst sich das Denken von der Gebundenheit an die physische Organisation und durchdringt sich mit Willenskräften, die dadurch aus der Unbewußtheit erlöst werden. Rudolf Steiner führt das Philosophische bis an die Schwelle der geistigen Welt. Das ist die Mission, die das Philosophische in der Gegenwart besitzt."

Carl Unger, Aufruf zur Bildung einer philosophischen Arbeitsgemeinschaft, 1926.

 

Wesen des Widerspruchs

Gedanken zur Philosophie des Widerspruchs

von Carl Unger

"Die Widersprüche des Lebens und der menschlichen Seele sind uns so geläufig, daß wir gewohnt sind, davon zu sprechen als einem festen Bestandteil unseres Weltbildes. Alle Darstellungen des Lebens und vornehmlich die künstlerischen, verwenden mit Vorliebe dieses Motiv, und doch, wenn wir genau zusehen, so dienen solche Darstellungen und alle Aufdeckung von Widersprüchen dazu, sie in höherer Art zu vereinen, sei es in wissenschaftlicher Synthese, oder in künstlerischer Verklärung. So erfreulich es uns sein kann, das farbige widerspruchsvolle Leben in seinem Wechselspiel zu betrachten, so sehr wir empfinden, wie sich darin das Leben stets neu gestaltet, um sich wieder zu vernichten, so haben wir doch das Bedürfnis, wenn es sich um wissenschaftliche Lebensdeutung und Welterklärung handelt, daß in einem «System» kein Widerspruch vorhanden sei. Daß der materialistische Monismus als einheitliche, widerspruchsfreie Welterklärung gerade heute Triumphe feiert, wo uns die Widersprüche mit solcher Kraft im Leben des Einzelnen und der Völker als Wirklichkeit sich aufdrängen, das kann zu denken geben. Es steht hinter der «einheitlichen» Naturbetrachtung der Gedanke, daß allem Geschehen Naturgesetze zu Grunde liegen und daß die Widersprüche Täuschungen sind, welche mit tieferem Verständnis verschwinden müssen.

Einer solchen Auffassung erscheint der geistige Monismus, die Anthroposophie oder Geisteswissenschaft, voll von Widersprüchen und gewiß werden von diesem Standpunkt aus die ersten beiden Kapitel dieser erkenntnistheoretischen Begründung der Geisteswissenschaft durchaus abgelehnt, denn sie verwenden offenkundig und ausgesprochenermaßen die größten Widersprüche. Das sind Gründe genug, uns mit dem Wesen des Widerspruchs zu beschäftigen, und es soll versucht werden, in kurzen Umrissen dem Wesen des widerspruchsfreien Denkens nachzugehen, um die Widersprüche der ersten Kapitel zu rechtfertigen. ...  Wo wahre Wirklichkeit auf unser Bewußtsein wirkt, da erscheint sie als Widerspruch; mächtig ragt er hereinaus den höheren Welten in unser Leben. Frei müssen wir streben, ihn aufzunehmen in unser wahres Wesen, sonst wirkter als äußere Macht. Wir müssen lernen, unser gewöhnliches Bewußtsein zu opfern, um den Sinn des Menschenwerdens zu erfüllen. Das Walten der höheren Welten, deren letzte Schöpfertat das menschliche «Ich» ist, wie es zugleich die erste Schöpfertat des Menschen ist, läßt das «Ich» nicht im «Sein» erstarren und stellt als stärksten Ausdruck der wahren Wirklichkeit, die allein in den höheren Welten zu finden ist, in das Leben den Tod.

Wir können einsehen, daß der Tod die wahre Wirklichkeit des Lebens ist. So bedeutet auch für das Leben der Menschheit wahre Wirklichkeit der Tod, der im Mittelpunkt ihres Werdens steht, der Tod auf Golgatha."

(aus Carl Unger, Schriften I, Gedanken zur Philosophie des Widerspruchs, Stuttgart 1964, S. 147f.)

«Die Identität von Denken und Sein ist Erkenntnis. Bleiben wir auf dem einseitigen Standpunkt einer zudem einseitig spezialisierten Logik, so ist diese Identität Widerspruch. Der Widerspruch hebt sich auf, wenn er in der Erkenntnis sich als Sein, als Wirklichkeit, setzen läßt. Im Begriff des Begriffs ist dies für einen Punkt, für das reine 'Ich' erreicht.»

 

Dr. Carl Unger, 1911