Das Verlieren verkraften, das Leben neu gewinnen
Wir betreuen in unserer Klinik Menschen mit einer Querschnittlähmung und einer Hirnverletzung und sind dadurch täglich mit dem Thema Verlieren und Gewinnen beschäftigt. Eine Hirnverletzung oder eine Querschnittlähmung erleiden heisst – nach der ersten Dankbarkeit, überlebt zu haben – trotz allem in erster Linie zu verlieren. Plötzlich nicht mehr gehen zu können, nicht mehr sprechen zu können, nicht mehr selbständig zu sein; darauf reagieren die meisten Menschen mit Trauer. Für viele gewohnten Dinge auf andere Menschen angewiesen zu sein, Hilfe zu benötigen, professionelle oder familiäre, freundschaftliche – das tut weh, das ist schmerzlich. Es braucht Zeit, damit umgehen zu lernen und es braucht Mut, sich dem vielen Neuen und dem vielen Anderen zuzuwenden.
Da Verlieren in unserer «Habengesellschaft», vor allem bei jungen Menschen, eigentlich nicht zu einem Leben gehört, wirkt sich ein solcher Einschnitt auch zerstörend aus. Sich nicht mehr zur Gewinnerkategorie zählen zu können, ist fast nicht erträglich.
Trauer zulassen, Trauer überwinden
So heisst es denn, gemeinsam mit dem Patienten einen Weg zu suchen, der ihm hilft, die Trauer zu überwinden, den Verlust in das neue Menschenbild einzubauen und zu nutzen. Dass daraus oft andere Wertvorstellungen entstehen respektive entstehen müssen, versteht sich von selbst. Bemerkenswert ist, in der täglichen Arbeit zu sehen, dass dies gelingen kann.
Verlust mit Trauer zu begegnen ist verständlich. Verlust als zum eigenen Leben gehörend anzunehmen, ist ein schmerzhafter, aber wichtiger Prozess. Daraus eine Lebenserfahrung abzuleiten, in dem in der Zukunft Verlieren und Gewinnen als Miteinander nebeneinander stehen können und dürfen, ist die Lebenskunst, die wir für unsere Patienten erhoffen und zusammen mit ihnen auch zu finden versuchen.
Leben heisst gewinnen und verlieren
Auch Alter und Tod haben in erster Linie mit Verlieren zu tun. Und beides ist unausweichlich mit unserem Leben verbunden – wenn auch oft ganz und gar verdrängt von unserer Gesellschaft.
Gerade das Gegenteil aber wäre wichtig und zu wünschen: Gewinnen und Verlieren, beides anzunehmen als zu uns gehörend, würde die Integration unserer Patienten und der Behinderten insgesamt erleichtern und unsere Gesellschaft menschlicher machen.