Ein Umwelt-Plädoyer für die Wiederkäuer
Zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Nutzflächen sind in der Schweiz und auch weltweit permanentes Grasland. Nur mit Wiederkäuern ist es möglich, die riesigen Graslandflächen adäquat zu nutzen. Voraussetzungen sind richtige und den Tieren entsprechende Haltung und Fütterung.
Was passiert, wenn Wiederkäuer Pflanzen verdauen? Es entsteht das Gas Methan (CH4), das sie nebst dem CO2 absondern. Beide gehören zu den Treibhausgasen, deren Emissionen wir reduzieren wollen und müssen.
Wieso sind Wiederkäuer ein Gewinn für die Böden
Wiederkäuer – Kühe, Ziegen, Schafe – erhalten das Grasland als lebenden Kohlenstoffspeicher mit vielfältigen Pflanzengesellschaften. Klimatisch und topographisch bedingt, lässt es sich oft kaum anders nutzen als mit Wiederkäuern. Der vollständige Verzicht auf tierische Produkte ist also keine Option. Und keine Kühe zu halten auch nicht. Denn in einer gut geführten Kreislaufwirtschaft wie der biologischen und der biodynamischen Landwirtschaft können die Wiederkäuer vieles für die Bindung von Kohlenstoff tun. Da entsteht aus dem Mist der Wiederkäuer ein guter organischer Dünger, am besten in Form von Kompost.
Mistkompost trägt zur Humusmehrung im Boden und zur Stabilisierung des Bodens durch die Bildung von Ton-Humus-Komplexen bei1. Durch die Humusbildung wird Kohlenstoff (C) im Boden fixiert und damit der Atmosphäre entzogen. Der Boden wird dadurch stabilisiert und ist viel weniger der Erosion – das heisst Bodenverlust durch Wasser oder Wind – ausgesetzt. Durch ihren Tritt arbeiten die Wiederkäuer beim Weiden zudem die Pflanzenreste in den Boden ein, wo sie verrotten und zu Humus werden können.
Grünerlen sind Biodiversitäts-Killer
Wo die Graslandnutzung in den Schweizer Alpen aufgegeben wird, machen sich flächendeckend Grünerlen breit, die keinen Wald aufkommen lassen. Diese Buschpflanze kann Luftstickstoff fixieren und ist dadurch extrem konkurrenzfähig, sie gefährdet Biodiversität und Landschaftsbild. Grünerlen setzen Lachgas (N2O) in die Atmosphäre frei, das 300-mal schädlicher ist fürs Klima als CO2 und 12-mal schädlicher als Methan. In den Alpen die Graslandnutzung durch Wiederkäuer aufzugeben, wird zu einem weiteren grossen Umweltproblem.
Nur Wiederkäuer und Pferde können Gras in grossen Mengen mit Hilfe der Mikroorganismen in ihren Verdauungsorganen abbauen und sich davon ernähren. Aus dem für uns Menschen unverdaulichen Gras erzeugen sie Milch und letztlich auch Fleisch. Sie sind nicht unsere Nahrungskonkurrenten wie etwa die Hühner und die Schweine, deren Futterflächen auch Menschen ernähren können.
Wenn wir die Tierhaltung richtig und den Tieren entsprechend einrichten, konkurriert das Futter der Wiederkäuer das Ackerland nicht. Es steht für die Erzeugung von Getreide und Gemüse für die Ernährung der Menschen zur Verfügung. Wenn Wiederkäuer auf den Weiden fressen und sich auch im Winter vom Grünland, z. B. in Form von Heu ernähren, dann tun sie das, was zu ihnen gehört. Dann leben sie in einer Kreislaufwirtschaft, welche die Kohlenstofffixierung im Boden fördert und die Treibhausgasemissionen reduziert.
Was den Tieren entspricht, ist gut für die Umwelt
Modellrechnungen des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau FiBL zeigen: Mit einer weltweit umgesetzten biologischen Landwirtschaft und der damit verbundenen oben beschriebenen Tierhaltung und Landnutzung können bis im Jahr 2050 alle Menschen ernährt werden2, 3. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir den Tieren kein Getreide mehr füttern – wie dies heute in der konventionellen und in etwas geringerem Mass auch in der biologischen Landwirtschaft der Fall ist –, viel weniger Schweine und Geflügel halten und unsere Ernährungsgewohnheiten ändern (siehe Artikel vor diesem, Am Tisch entscheidet sich das Wohl der Erde).
Eigentlich wäre alles ganz einfach: Wenn die Tiere so leben und fressen können, wie es ihnen entspricht, wirtschaften4 wir besonders effizient, reduzieren Emissionen, verbessern und stabilisieren den Boden und können die Menschen gut ernähren. Das sind nicht Utopien: Es gibt viele Betriebe, die schon heute so arbeiten. Wir fördern sie und motivieren weitere dazu, wenn wir ihre Produkte kaufen: In der Schweiz arbeiten Demeter- und auch Biobetriebe nach diesen Idealen.
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Dr., Dipl.-Ing. agr. ETH Anet Spengler Neff, Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL
1) Hülsbergen, H.-J.; Rahmann, G. (Hrsg.), 2015. Klimawirkungen und Nachhaltigkeit ökologischer und konventioneller Betriebssysteme – Untersuchungen in einem Netzwerk von Pilotbetrieben. Forschungsergebnisse 2013–2014. Braunschweig: Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, 175 p, Thünen Rep 29, doi:10.3220 / REP_29_2015
2) Schader, C., Muller, A., El-Hage Scialabba, N., Hecht, J., Isensee, A., Erb, K.-H., Smith, P., Makkar, H. P. S., Klocke, P., Leiber, F., Schwegler, P., Stolze, M., und Niggli, U.: 2015. Impacts of feeding less food-competing feedstuffs to livestock on global food system sustainability. J. R. Soc Intercace 12:20150891
3) Muller, A., Schader, C., El-Hage Scialabba, N., Brüggemann, J., Isensee, A., Erb, K.-H., Smith, P., Klocke, P., Leiber, F., Stolze, M. und Niggli, U.: 2017. Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture; Nature Communications, 8, 1290; DOI: 10.1038 / s41467-017-01410-w / www.nature.com / Naturecommunications
4) Gazzarin, C., Haas, T., Hofstetter, P., Höltschi, M., 2012 8: Milchproduktion: Frischgras mit wenig Kraftfutter zahlt sich aus; Agrarforschung Schweiz 9 (5), 148–155