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Zunehmend höhere Temperaturen und deren Folgen konfrontieren uns, wie z. B. die Gletscherschmelze. Die Landschaften und das Klima verändern sich. Die Herausforderungen an die landwirtschaftliche Produktion steigen. Die Ernährungssicherheit ist gefährdet. Der Weckruf des Weltagrarberichts von 2008 «Weiter wie bisher ist keine Option» kann nicht mehr überhört werden. Es braucht Politiker, Händler und Konsumenten, die gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern die Ernährungspolitik gestalten. Es braucht eine andere Haltung, eine Landwirtschaft, welche die Bodenerosion verhindert und die Böden nachhaltig fruchtbar erhält. Die biodynamische Landwirtschaft baut Bodenfruchtbarkeit auf. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Forschung für diesen Kulturimpuls.
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Kuhhörner – mehr als Würde und Zier
Hörner erinnern an die Stosszähne von Elefanten. Sie helfen der Kuh, die extrem schwer verdauliche Nahrung aufzuschliessen. Je nach Art des Futters sind sie kleiner oder mächtig gross.
Frühmorgens, wenn ich die Kühe zum Melken hole, finde ich sie in sich gekehrt auf der Weide verteilt, jede für sich an einem gemütlichen Flecken liegend, ruhig wiederkäuend. Sie sind ganz der Verdauung hingegeben; liegend fällt die Mächtigkeit ihres Innenraums auf, besonders wenn die Vormägen von der Nachtweide gut gefüllt sind.
Natürlich hat mich die Herde schon erwartet. Die ersten Tiere stehen ohne Eile auf und begeben sich gemächlich auf den Heimweg. Ein solches Tier bietet einen würdevollen Anblick, gekrönt durch seinen Kopfschmuck, die Hörner. Nirgends erregt das Kuhhorn so starke Emotionen wie in der Schweiz, obwohl es auch hierzulande nur noch selten sichtbar ist. Im Zuge des Strukturwandels und der Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion sind die Hörner weitgehend aus der Landschaft verschwunden. Im Bewusstsein sind sie geblieben, wie die «Hornkuh-Initiative» belegt, über welche die Schweiz 2018 abstimmte. Mit 45,3 % sprach sich fast die Hälfte der Stimmbevölkerung für die Hörner aus.
Die Kraft, die aus den Hörnern kommt
Doch wenige Landwirtinnen und Landwirte entscheiden sich dafür, den Tieren die Hörner zu belassen, mehrheitlich in Herden von Zweinutzungsrassen. Auf biodynamischen Höfen tragen die Milchkühe ihre Hörner, und zwar weltweit. So, wie es für die Vermarktung ihrer Produkte die internationalen Demeter-Richtlinien fordern.
Warum haben die Kühe Hörner? Das fragte Rudolf Steiner, der Begründer der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, 1924 in einem Vortrag vor Bäuerinnen und Bauern – um gleich selbst zu antworten: Mit dem Horn (und auch den Klauen) schaffe sich die Haut Stellen, um gewisse Kräfte, die aus dem Organismus hinausströmen wollen, wieder in das Tier zurückzusenden. Diese zurückströmenden Kräfte stellt Steiner in den Zusammenhang mit der Haupttätigkeit des Rindes, der Verdauung. Wenn die Zusammenhänge zwischen Horn und Verdauung, von denen er sprach, vorhanden sind, müssten sich auch anatomische Hinweise darauf finden lassen.
Horn und Zähne
Bei Tierarten, bei denen sich in ihrem Gebiss bestimmte Zähne besonders stark entwickeln, verschwinden andere Zähne oder Zahngruppen. Dieses Bildegesetz ist im ganzen Tierreich zu beobachten. Einige Beispiele:
– Das Gebiss der Nagetiere fällt durch lange Nagezähne auf, die an der Wurzel so viel nachwachsen, wie sie abgenutzt werden; auf Kosten der Eckzähne, die im Nagergebiss fehlen.
– Im Raubtiergebiss sind die Eckzähne zu langen starken Reisszähnen gewachsen; es fehlen die hintersten Backenzähne.
– Das Gebiss des Elefanten besteht aus nur sechs Zähnen, zwei obere Schneidezähne sind Stosszähne, die vom Kopf abstehen, als wären es Hörner; alle anderen Zähne fehlen dem Elefanten, bis auf nur vier Backenzähne, die bis zu sechsmal nachwachsen können.
Auch das Gebiss des Rindes fällt durch seine Zahnlücken auf. Es fehlen ihm, wie bei Wiederkäuern üblich, sämtliche Eckzähne sowie die Schneidezähne des Oberkiefers. Bei so markanten Zahnlücken müsste nach dem oben genannten Bildegesetz im Wiederkäuergebiss ein besonders ausgebildeter Zahn gefunden werden. Danach sucht man vergeblich. Zugunsten welcher Ausprägung könnten die fehlenden Zähne dann wohl verkümmert sein? Weiten wir die Suche über den Horizont des Gebisses hinaus aus, finden wir beim Rind die Hörner. Sie ähneln von der Form her den Elefantenstosszähnen, bestehen aber nicht aus Elfenbein, sondern aus Knochen- und Hornsubstanz.
Wer sich traut, mit Phantasie auf die Natur zu blicken, kann Hörner als verwandelte Zähne verstehen. Hörner oder andere verhornte Organe stehen in engem Zusammenhang mit dem ersten Organ des Verdauungskanals, dem Gebiss. Hörner entstehen anstelle von Zähnen, die im Gebiss verkümmert sind.
Horn und Magen
Setzen wir die anatomische Reise durch den Verdauungstrakt des Rindes fort durch die Speiseröhre. Sie verwandelt sich vor dem Eingang zum echten Magen, dem Labmagen, in einen dreiteiligen Sack, in die drei Vormägen Pansen, Netzmagen und Blättermagen. Diese ermöglichen es dem Rind, das geschluckte Gras so lange wiederzukäuen, bis es verdaut werden kann. Die Vormägen befähigen die Wiederkäuer, die extrem schwer verdaulichen Zellulosefasern im Gras aufzuschliessen und die darin enthaltenen Nährstoffe zu nutzen – viel besser, als es andere grasfressende Tiere, wie etwa Pferde, können.
Jeder Bissen, der durch den Netzmagen zurückgeschleudert durch die Speiseröhre ins Maul gelangt, wird 60- bis 80-mal gekaut. Acht Stunden pro Tag verbringt die Kuh mit Wiederkäuen, was um die 30 000 Kaubewegungen ergibt. Nicht nur das Maul, der ganze Kopf ist in rhythmischer Bewegung, bis hinauf zu den Hörnern. Dort sind die Vibrationen, die durch das Mahlen der Backenzähne entstehen, besonders gut spürbar. Dabei erwärmt sich das Horn und die Kuh gibt sich genüsslich den Säften, Dämpfen und Gerüchen hin. Diese steigen durch die Schädelhöhlen bis in die Hörner hinauf, wo sie in den Höhlen der Knochenzapfen wahrgenommen werden. Das Kuhhorn wird zum Sinnesorgan.
Die Umgebung und die Futtergrundlage der Kühe beeinflussen die Entwicklung der Hörner. Rassen aus milden Regionen und üppiger Vegetation kommen mit kurzen, feinen Hörnern aus. Besonders auf Bauernhöfen, wo sie mit reichlich Mais und Kraftfutter versorgt werden. Rassen aus kargeren, trockenen Gegenden bilden längere und kräftigere Hörner aus – erst recht, wenn die Tiere ausschliesslich mit Heu und Gras versorgt werden. Erstere gehen haushälterischer mit ihrer Nahrung um und haben ein grösseres Bedürfnis, die angedeuteten Verdauungskräfte aufzuhalten und in den Organismus zurückzustrahlen. Dazu sind grössere Hörner dienlich.
Füllhorn und Präparate
Ein bekanntes Motiv aus der antiken Mythologie und dem Alten Testament ist das Füllhorn: ein Gefäss des Überflusses, das die Menschen mit reicher Ernte beschenkt. Leer wurde es nie, es füllte sich laufend nach. Durch das Füllhorn schenkten die Götter der Erde Fruchtbarkeit. Dies nehmen die biodynamischen Landwirtinnen und Landwirte auf. Sie verwenden das Kuhhorn, dieses Verdauungsorgan, um Präparate zu erzeugen, welche die Fruchtbarkeit der Erde erhalten und aufbauen.
Alfred Schädeli, Hofgemeinschaft Looren, Wernetshausen