FondsGoetheanum: Landwirtschaft

Das Schöpferische ist in der Landwirtschaft allgegenwärtig. Die Erde erschafft Neues, der Mensch gestaltet. Er erzieht Pflanzen, greift ein, prägt mit. Achtsam und kreativ. Im Kreislauf des Lebens. Gedanken aus der Sicht einer biodynamischen Bäuerin.

Die Erde ist die Arbeitsgrundlage der Bauern, ist Schöpfung aus erster Hand. Als Bäuerin lebe ich mit den Jahreszeiten, mit Werden und Vergehen.
Mein Werdegang zur Bäuerin war ein längerer Prozess. Von Eltern, Ahnen und Umfeld geprägt, bin ich durch mancherlei Lebenserfahrung gegangen, um den Weg zu meinem Mann und zu unserem Hof zu finden. An diesem Ort arbeiten wir mit der Natur so, dass ihre Gaben zu den Menschen kommen können. Wir sind gefragt, in vielfältigster Weise schöpferisch tätig zu sein. Aus vorhandenen Bedürfnissen entwickeln wir eine Idee, stellen das Nötige bereit und gestalten es mit unserem Willen.

Aus den Früchten Neues schöpfen

Früher, als ich noch keine Erfahrung in der Landwirtschaft hatte, glaubte ich, die Pflanze wisse schon, wie sie zu sein hätte. Nie hätte ich gedacht, dass der Mensch Pflanzen «erziehen» sollte. Nun habe ich Erfahrungen gesammelt und Einsicht gewonnen. Jetzt kann ich einen Johannisbeerstrauch anschauen und denken: Diese Äste müssen geschnitten werden, damit ich bei der nächsten Ernte besser an die Beeren komme. Ich forme den Strauch nach meinen Bedürfnissen, und schon bin ich mitten in einem schöpferischen Prozess.
Mein gemeinsamer Weg mit dieser Pflanze hat begonnen, als ich mich für sie entschieden und für sie einen Platz ausgesucht habe. Wie ich sie wahrnehme, wie ich sie pflege und was ich mit ihren Früchten mache, ist schöpferisches Tun. Da gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten, wie es Menschen gibt.

FondsGoetheanum: Landwirtschaft
Erntereife Johannisbeeren.

Frische Beeren, viele frische Ideen

Ich verkaufe die frischen Beeren im Körbchen sowie eingebacken im Mürbeteig mit Zimt und Mandeln auf dem Dorfmarkt. Mit den vielen anderen Beeren koche ich Konfitüre. Die Konfigläser brauchen ein Etikett, womit ich nicht nur informieren, sondern die Kunden ansprechen und ihr Vertrauen gewinnen will.
Dieses künstlerische Tätigsein, Hand in Hand mit Erde und Kosmos, erfährt seinen Höhepunkt, wenn die Beere mundet. Da merken der Kunde und ich, was mein Bestreben war und dass es gelingen durfte.

FondsGoetheanum: Landwirtschaft
Achtsam und schöpferisch. Vom Hof bis zum Markt.

Das Bild, der Wunsch, der Hofladen

Seit fünf Jahren hängt ein Bild aus einer Zeitschrift an der Pinnwand in unserem Büro. Es zeigt eine offene Türe und hinter der Schwelle ein Gestell vollbeladen mit Nahrungsmitteln und Kosmetik. Über der Türe hängt ein Schild aus Holz mit der Aufschrift «Hofladen».
Vor ein paar Tagen war eine Bekannte bei uns, um Beeren zu pflücken. Sie erhaschte einen Blick in unseren Hauseingang, wo ein paar Sirupflaschen lagerten, und kam in heller Begeisterung zu mir, weil sie sich einen wunderschönen Hofladen in diesem Raum vorstellen konnte. Sie hatte gerade einen aufwändigen Umzug hinter sich und war noch ganz im Veränderungsprozess. Ihre Begeisterung steckte mich an.
Mein schlummernder Wunsch wandelte sich in Tatendrang. Ich begann, Eierkartons und Kisten zu verschieben. Dafür musste ich Gegenstände vom Vorratsraum ausrangieren, die schon lange nicht mehr benutzt wurden. Es war eindrücklich zu sehen, wie Altes auf- und ausgeräumt werden wollte, um Neuem Platz zu machen. Und wie im Prozess des Werdens Dynamik entstand. Nun lagern neben den Sirupflaschen diverse fruchtige Konfitüren, und der Hofladen wartet auf den nächsten kreativen Schub seiner Bäuerin.

Lebenskunst auf dem Bauernhof

Als Bäuerin bin ich Dienerin. Ich horche auf die Gesetzmässigkeiten der Natur und folge ihrem Ruf. Gleichzeitig bin ich auch Königin. Mein Mann und ich haben ein Reich, dessen Schicksal in unseren Händen liegt. Immer wieder kommt es zu Situationen, die nach Veränderung im Sinne von Verbesserung rufen, und oft stehen wir vor schwerwiegenden Entscheidungen.
Seit fünf Jahren sind wir am Umstrukturieren, Aufbauen, Renovieren, Ausprobieren, Fehlermachen und am Dazulernen. Diesen Sommer haben wir uns entschieden, einen Betriebszweig zu vereinfachen, um im kommenden Sommer mehr Zeit zu haben für unsere Kinder und für Entspannung, Kultur, Weiterbildung und Freundschaften.
Diese Zeit benötigen wir, denn ein neuer Betriebszweig soll am Hof entstehen, um der steigenden Nachfrage nach biologischem und bio-dynamischem Gemüse entgegenzukommen. Dies planen wir, gemeinsam mit unserem Schwager zu tun. In der Stadt betreut er Flüchtlinge, die im Gemüseanbau arbeiten. Dies wollen wir nun mit ihm bei uns auf dem Land machen.
Solche Entscheidungen sind nur stimmig, wenn sie sowohl mit dem Kopf als auch mit dem Herzen gefällt werden. Tun wollen, was ich tun soll, ist hier die beste Devise.
Wenn ich freiwillig einer Arbeit nachgehe, durchströmt mich eine kreative Kraft, die mich unbehelligt ans Ziel bringt. Ich mache die Arbeit mit Freude und überwinde kleine Störungen ohne grosse Verluste an Kraft und Energie.
Wir stehen mittendrin in einem lebendigen Hoforganismus, den wir mitgestalten dürfen. Ich möchte es nicht anders haben und bin voll tiefer Dankbarkeit, an einem solchen Ort auf diese Art mit meinem Lebensschwung wirken zu können.

Joanna Meyer