FondsGoetheanum: Medizin, Therapie und Pflege

Aktuell – November 2009

Interdisziplinär arbeiten, umfassend wirken

Anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie sowie die Anthroposophische Medizin arbeiten seit ihrem Entstehen eng zusammen. Deutlich wird dies ganz besonders in der Diagnosestellung.

Zwischen der Anthroposophischen Medizin und der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie besteht seit jeher eine enge Zusammenarbeit. Wenn sich ein Heilpädagoge und ein Arzt eines Kindes mit besonderem Förderungsbedarf annehmen, dann fallen ihnen durch ihre verschiedenen Ausbildungen primär unterschiedliche Dinge ins Auge. Wenn beide sich zusammenfinden und eine gemeinsame Diagnose stellen, dann wird es fruchtbar für das Kind.
Dem Pädagogen/Heilpädagogen treten in der Schule oder im Alltag zuerst die seelischen Eigenarten entgegen. Er wird seine Diagnose aus dem Seelischen herleiten. Der Arzt aber lenkt sein Hauptaugenmerk auf das Körperliche, bei Kindern mit Behinderungen sind ja oft auch bedeutende körperliche Eigenheiten und Einseitigkeiten festzustellen. Sie sind für ihn die Zeichen, an denen er erkennt, wie ein Menschengeist und eine Menschenseele sich mit dem Leib verbunden haben.

Der Weg zu einer heilpädagogisch-medizinischen Diagnose

Zuerst zeigen sich Einseitigkeiten im Leiblichen: Es geht um das gesamte Erscheinungsbild eines Menschen. Wie sind die Proportionen? Ist er eher nervig oder füllig? Hat das Rhythmische im mittleren Menschen die Kraft, ausgleichend und harmonisierend zu wirken, oder «geht er unter»? Welche Krankheitszeichen sind sichtbar? Der Arzt versucht zu verstehen, wo und wieso sich im Körperlichen Hindernisse entgegenstellen.
Das Seelische zeigt sich in den drei Richtungen des Denkens, des Fühlens und des Wollens. Wie kann sich jemand konzentrieren, wie bewegt sich der Gedankenfluss? Erstarrt der Gedanke, oder kann er kaum festgehalten werden, ist er assoziativ, ist er fliehend? Im Fühlen öffnet sich der Mensch und kann so den andern Menschen erleben. Der Gesunde findet zu sich zurück, das Gefühlte wird zur eigenen Erfahrung. Bei Einseitigkeit ist es möglich, dass der Mensch nur die ausfliessende Tendenz hat, der Welt ausgeliefert ist, «ausser sich» ist. Oder aber in sich und seiner Welt gefangen, gestaut, abgekapselt, allenfalls gefolgt von befreienden Zornausbrüchen.
Im Wollen kann der Mensch sehr beweglich, getrieben, unruhig sein oder im Gegenteil langsam, träge und nur mit viel Kraft in Bewegung kommen.

Die Sinne sind Tore zur Welt

Die Sinne sind für die Menschen die Tore nach aussen, um mit der Welt in Verbindung zu treten. Für ihr Lebensgefühl ist sehr entscheidend, wie intakt diese Tore sind. In uns werden die Wahrnehmungen von «draussen» zu unserem Erfahrungsschatz, zu unserem Eigenen. Es gibt Sinne – heute oft unter dem Begriff der Eigenwahrnehmung zusammengefasst –, die mehr auf uns selbst und unser Wohlfühlen gerichtet sind. Dann gibt es Sinne, die nach aussen gerichtet sind (Geruch, Geschmack, Sehen, Wärmewahrnehmung) und solche, die uns ermöglichen, die Gedanken anderer zu verstehen, den anderen Menschen in seiner Persönlichkeit zu erkennen.

Der Kern des Menschen ist heil

Aus dem Wahrnehmen und Erkennen der Einseitigkeiten im Leiblichen, Seelischen und Geistigen entstehen im Gespräch zwischen Heilpädagoge und Arzt Ansatzpunkte zur Therapie: Wie kann dieser Mensch mehr ins Gleichgewicht gebracht werden, durch seine Sinnestore besser mit der Welt in Verbindung treten, mehr von seiner Persönlichkeit auf Erden verwirklichen? Die Bemühungen der Heilpädagogen unterstützt der Arzt mit seinen Substanzen aus der Natur, manchmal auch aus der naturwissenschaftlichen Medizin, sowie mit den künstlerischen Therapien (Heileurythmie, Sprache, Malen, Plastizieren), der Massage und Physiotherapie. Für den anthroposophischen Heilpädagogen/Sozialtherapeuten und Arzt ist jedoch erlebbar: Der Menschenkern ist immer unverletzt, heil.

Dr. med. Christoph Wirz

 

 

Bryophyllum schützt vor Frühgeburten

Bryophyllum, signifikant wirksam.

In der Anthroposophischen Medizin wird Bryophyllum seit Jahrzehnten erfolgreich zur Wehenhemmung angewendet. Ohne Nebenwirkungen.

Fast jedes zehnte Kind in der Schweiz wird zu früh geboren und ist deshalb gefährdet. Frühgeburten sind die Ursache von 50 Prozent der Komplikationen und Todesfälle in der Neugeborenenperiode. Um dies zu verhindern, werden die betroffenen Mütter üblicherweise mit Infusionen mit synthetischen Medikamenten behandelt, welche die Wehen hemmen (Tokolytika). Diese Behandlung erfordert eine Hospitalisation und hat häufig belastende und ernste Nebenwirkungen für Mutter und Kind zur Folge. Eine Wehenhemmung mit eigentlich zur Blutdrucksenkung bestimmten Tabletten (sogenannten Betablockern) ist weniger aufwendig und wird daher zunehmend verwendet. Aber auch diese Behandlung hat oft unerwünschte Nebenwirkungen.
In der Anthroposophischen Medizin wird zur Wehenhemmung Bryophyllum (Keimzumpe) seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet. Diese sehr vitale Pflanze bildet an den Blatträndern kleine Embryonen. Rudolf Steiner empfahl Bryophyllum 1921 einem männlichen Patienten zu Behandlung seiner Hysterie (von griechisch «hystera», Gebärmutter).
Diese Krankheit erscheint auf der seelischen Ebene wie eine Art Frühgeburtsprozess, bei dem unausgereifte Seelenäusserungen vorzeitig hinaus-«wehen».
Frühere klinische Untersuchungen hatten die Vorteile von Bryophyllum-Infusionen gegenüber konventionellen Medikamenten bei vorzeitigen Wehen gezeigt. Im Labor wurden zudem spezifische Wirkun gen von Bryophyllum auf die Muskulatur der Gebärmutter nachgewiesen. Ein BryophyllumPräparat wurde als Pulver in vielen Fällen erfolgreich eingesetzt und zur besser dosierbaren Tablettenform weiterentwickelt.
Im direkten Vergleich zu einem synthetischen Tokolytikum werden nun in einer aufwendigen, vom schweizerischen Arzneimittelinstitut Swissmedic begleiteten klinischen Studie und unter Federführung der Geburtshilflichen Klinik des Universitätsspitals Zürich die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Bryophyllum-Tabletten zur Wehenhemmung untersucht.
Erstmalig in der Schweiz wird hierbei ein anthroposophisches Heilmittel direkt mit einem synthetischen Medikament verglichen, unter strengsten konventionell-medizinischen Kriterien. Wer den Millionenaufwand kennt, den Pharmaunternehmen bis zur Zulassung ihrer Arzneimittel betreiben müssen, kann ermessen, dass trotz unentgeltlichem Einsatz vieler Beteiligter eine solche Studie erhebliche materielle und personelle Ressourcen bindet, die nicht öffentlich finanziert werden. Dennoch: Mit dem neuen Verfassungsartikel zur Komplementärmedizin verfügt auch die Anthroposophische Medizin über ein gesetzliches Fundament, auf dem Forschung im unmittelbaren Interesse der Patienten verwirklicht und der Nachweis ihrer Wirksamkeit und Sicherheit geführt werden kann.

Dr. med. Andreas M. Worel


Interessierte Geburtshelferinnen und Geburtshelfer erhalten Informationen bei der für diese Studie zuständigen Frau Prof. Ursula von Mandach, Frauenklinik des Universitätsspitals Zürich.