FondsGoetheanum: Pädagogik und Kleinkinderziehung

Kindererziehen - eine weltweite Herausforderung

Über 1000 Schulen unterrichten auf allen Kontinenten nach den Grundsätzen von Rudolf Steiner. Keine ist wie die andere, jede ist autonom, und doch sind Übertritte über politische und sprachliche Grenzen ohne Probleme möglich. Wie?

Es gibt weltweit über 1000 Rudolf Steiner/Waldorfschulen. Sie verteilen sich auf 80 Länder auf allen Kontinenten. In Europa sind es 664, in Nordamerika 152, in Lateinamerika 71, in Afrika 71 und in Asien 91 Schulen. Diese Schulen sind von den Behörden anerkannt und vernetzt in nationalen und internationalen Assoziationen.

Robert Thomas
Robert Thomas Leiter Koordinationsstelle der Arbeitsgemeinschaft der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz

Was hält alle diese Schulen zusammen? 

So merkwürdig dies scheinen mag, jede dieser Schulen steht autonom da, ist nicht einer zentralen Führung unterstellt. Es handelt sich um ein Netzwerk selbstverwalteter, kollegial geführter Einrichtungen. Der innere Zusammenhang entspringt nicht organisatorischen Massnahmen, sondern ergibt sich aus den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entwicklung des Kindes. Die Grundkonzeption aller Rudolf Steiner/Waldorfschulen, den Lehrplan auf den Entwicklungsschritten der werdenden Menschennatur aufzubauen, erweist sich von vorneherein als länder- und völkerverbindend. Die Zusammenarbeit ergibt sich aus der Entwicklung des Kindes. Deshalb sind Übertritte von einer Schule zur andern – z.B. von New York nach Zürich, von Prag nach Oslo ohne grössere Probleme möglich, wie viele Erfahrungen bestätigen.
Die pädagogische Sektion am Goetheanum in Dornach CH vernetzt die Schulen weltweit durch Kontakte und Tagungen. Die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners in Deutschland, ACACIA-Fonds für Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz und Alliance for Childhood in den USA fördern Lehrerbildung und wissenschaftliche Forschung, da mit die Erwachsenen von morgen ihre Zukunft sozialverträglich gestalten und selber bestimmen.
Die Rudolf Steiner Pädagogik ist auch eine internationale Bewegung, die im Kontext interkultureller Pädagogik zahlreiche Projekte für globales Lernen entwickelt. Sie bewährt sich dabei zunehmend weltweit als Konzept der Krisenpädagogik, wie z.B. in Israel, Palästina, Kosovo oder Sierra Leone. Einzelne Rudolf Steiner Schulen sind internationalen Bewegungen angeschlossen wie z.B. Unesco oder effe (Europäisches Forum für Freiheit im Bildungswesen).
Die Rudolf Steiner Schulen sind den geistigen, moralischen und kulturellen Traditionen der Menschheit verpflichtet, international tätig und deshalb heute moderner denn je.
www.acacia-verein.ch
www.anthromedia.net

Remo Largo

Welche Pädagogik brauchen Kinder heute? 

Interview mit dem Kinderarzt Remo Largo

Dr. Remo Largo Kinderarzt und Entwicklungspädiater, verfasste 120 wissenschaftliche Publikationen. Grosse Beachtung fanden die Bücher «Babyjahre» (600 000 verkaufte Exemplare), «Kinderjahre» und «Glückliche Scheidungskinder». Remo Largo ist Vater von drei Töchtern und Grossvater von vier Enkelkindern. Im Februar ist sein neuestes Buch «Schülerjahre» erschienen.

Schulstress, Prüfungsängste und in der Folge Medikamente – was können da Eltern und Lehrkräfte tun?

Das geht nur, wenn man dem Kind vertraut: Jedes Kind will lernen und sich entwickeln. Wenn wir dem Kind da misstrauen, dann übernehmen wir eine Verantwortung am falschen Ort. Wenn wir das akzeptieren, ist die Frage: Was ist denn nun unsere Verantwortung? Diese besteht meines Erachtens darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass das Kind in jedem Lebensalter lernen kann – dafür müssen wir wissen, was das Kind in welchem Lebensalter braucht. Und dies hat nicht mit den Bedürfnissen der Wirtschaft zu tun, sondern ist eine Pädagogik, die sich am Kind orientiert.

Was sind Ihre Erwartungen als «Steinerschul-Vater»?

Was mich überzeugt hat, war, dass Rudolf Steiner ehrlich bemüht war, die Bedürfnisse der Kinder in den verschiedenen Altersperioden zu erfassen, und sich gefragt hat, wie man das entsprechende Umfeld gestalten müsste. Das hat er damals viel besser gelöst als die öffentlichen Schulen. Das ist auch heute noch so und das hat mich überzeugt. Ich denke, dass die Art und Weise der Umsetzung immer noch weitgehend kindgerecht ist. Begrüssenswert ist für mich, dass der Notendruck und diese alles bestimmende Selektion nicht vorhanden ist.

Mehr als 80 Jahre gibt es Rudolf Steiner Schulen. Warum hat das nicht mehr Einfluss gehabt auf das öffentliche Schulsystem?

Der Einfluss ist indirekt. Defizite an den öffentlichen Schulen sind langsam aufgefüllt worden, und dafür hat man sich viel geborgt von Steiner und Montessori. Heute sind alle Schulen gefordert, für mich ist das, was jetzt geschehen muss an den Schulen, etwas Radikales. Von aussen gibt es viele und starke Einflüsse wie Globalisierung, Wirtschaft oder gesellschaftliche Veränderungen. Da ist ein Paradigmenwechsel angezeigt: Akzeptieren wir, dass jeder Mensch ganz individuelle, eigene Stärken haben darf? Ein grosses Problem diesbezüglich sind die Jugendlichen. Was die Rudolf Steiner Schulen z.B. in der ROJ Mittelschulen Jurasüdfuss in Solothurn mit den Langzeitpraktika und mit den Portfolios machen, das erschliesst dem Jugendlichen neue Möglichkeiten fürs Leben und einen beruflichen Einstieg. In dieser Richtung müsste noch viel mehr versucht werden, wir hätten auch an staatlichen Schulen mehr Freiheiten, als die Lehrkräfte sich auszuschöpfen trauen – wenn wir uns eben am Kinde und am Jugendlichen orientieren.

Auszüge aus einem Interview, das Thomas Stöckli am 2. Juli 2008 in Uznach führte; eine vollständige Fassung ist zu lesen in der Wochenschrift «Das Goetheanum» vom 6. Februar 2009/Nr. 6.

Klaus Fischer Landammann
Klaus Fischer Landammann, Regierungsrat, Vorsteher Departement Bildung und Kultur Kanton Solothurn

Steiner Schulen – eine Chance im Bildungswesen?

Die pädagogischen Impulse Rudolf Steiners haben seit den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts einen festen Platz im schweizerischen Bildungswesen. Viele Lehrpersonen der staatlichen Schulen liessen sich im Laufe der Zeit von ihnen anregen, und viele Elemente des Unterrichts, welche die Steiner Schulen als Pioniere verwirklichten, sind heute auch in der Staatsschule integriert, wie z.B. Projekte, eine grössere Abschlussarbeit, früher Fremdsprachenunterricht und anderes mehr.

Alle Leistungsstufen in einer Klasse

Obwohl die Staatsschulen seit dem Aufkommen der Steiner Schulen eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen haben und auch heute in einem grossen Veränderungsprozess stehen, zeichnen sich diese Schulen noch immer durch ein eigenes Profil aus. Besonders beeindrucken kann, dass es den Steiner Schulen mit Erfolg gelingt, während der ganzen obligatorischen Schulzeit alle Leistungsstufen in der gleichen Klasse zu integrieren, dass die künstlerische Betätigung viel Raum erhält und dass an jedem Tag zwei Lektionen für den sogenannten Epochenunterricht reserviert sind, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Epochenfach über zwei bis drei Wochen erlaubt. Als weiteres Beispiel für typische Elemente der Steiner Schule sei noch der Eurythmie-Unterricht erwähnt; er macht den Schülern und Schülerinnen Sprache und Musik auf eine neue Weise erlebbar; die Eurythmie schult das gegenseitige Wahrnehmen und das gemeinsame Tun.

Platz für Gefühlsschulung

Zu bedenken ist auch der ganzheitliche Ansatz, von dem aus der Lehrplan für zwölf Schuljahre gestaltet ist. An erster Stelle scheint immer die Frage zu stehen, was ein Kind bzw. ein junger Mensch im jeweiligen Entwicklungsstand braucht, da mit sich seine denkerischen und praktischen Fähigkeiten, sein Gefühlsleben und seine Bereitschaft, verantwortungsvoll in der Welt tätig zu werden, optimal entfalten. Dass bei dieser Lehrplankonzeption die für unsere Gesellschaft und Wirtschaft notwendigen Bildungsinhalte nicht zu kurz kommen, zeigt die in der Regel gute Integration der Steinerschülerinnen und -schüler in die verschiedenen weiterführenden Ausbildungen.
Es ist den Steiner Schulen zu wünschen, dass es ihnen weiter gelingt, als erfolgreiche Pionierschulen zukunftsträchtige Impulse vorzuleben.