FondsGoetheanum: Pandemie

Wechselbeziehung Mensch und Tier

© Martin Bienerth

Das Corona-Virus scheint von Tieren zu uns Menschen gekommen zu sein. Es gibt viele Indizien, die für einen solchen «Sprung» vom Tier auf den Menschen sprechen. Damit wären die Tiere rein kausal-biologisch die Ursache für die Pandemie mit Covid-19. Doch die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Tier sind komplexer und gipfeln in der Frage: Wie halten wir es mit dem Tier?

Müssen wir in Zukunft Angst haben vor den Tieren? Oder ist es gerade umgekehrt, dass die Tiere von uns Menschen bedrängt sind? Und ist das Ausbrechen des SARS-CoV-2-Virus aus seinem natürlichen
Verbund zu verstehen als eine (bio-)logische Reaktion der in die Enge getriebenen Tierwelt?
Die Bedrohung der Wildtierwelt durch die Auswirkungen der weltumspannenden Zivilisation ist seit Jahrzehnten erforscht und bekannt. Und trotz der vielen Programme zur Rettung der Wildfauna und ihrer Lebensräume schreitet das Artensterben voran. Die Bedrohung der biologischen Balance durch die industrielle Massentierhaltung ist kaum im allgemeinen Bewusstsein angekommen, sie ist aber nicht minder real. Die Corona-Krise ist ein Weckruf, diese Gefahr zu untersuchen, zu verstehen und Massnahmen zu ergreifen.

Die Programmierung der Nutztiere

Die Tierindustrie, die sich in den letzten ca. 70 Jahren entwickelt hat, basiert auf einer Technisierung von Haltung, Zucht und Fütterung der Nutztiere. Die Massentierhaltung reduziert den Lebensraum für jedes Tier auf das absolute Minimum. Als Beispiel kennen wir das Käfighuhn. Die Zucht ist über Mehrfach-Hybridisierungen (und zunehmend durch Gentechnik) so ausgetüftelt, dass das ganze Tier eindimensional auf Eierproduktion «programmiert» ist. Die Fütterung ist ein Cocktail aus chemisch-analytischen Komponenten, oft mit hormonellen Zusätzen versehen, nur ausgerichtet auf die Maximierung der Eierproduktion.
Dieses System gibt es nicht nur für Hühner, sondern auch für Schweine, Milchkühe, Mastrinder, Fische und für Pelztiere. Hunderte von Millionen von Tieren werden industriell gehalten und werden wie «Maschinen» betrieben. Von Natur her sind sie aber Lebewesen. Das heisst, sie sind einem hochgradigen Dauerstress ausgesetzt. Und das bedeutet, dass sie eigentlich ständig vor dem Kollaps stehen. Damit es nicht zum Massensterben kommt, müssen massiv Antibiotika eingesetzt werden. Aber es gibt Ausbrüche von Bakterien und Viren, die regelrecht aus dem immunologischen Stress herausgepresst werden und die Umwelt, z. B. den Menschen, kontaminieren können.

Die Würde des Tieres respektieren

Die industrielle Massentierhaltung ist eine Entgleisung in verschiedener Hinsicht: Sie entspricht weder Menschen- noch Tierwürde, sie hat eine miserable Umweltbilanz, insbesondere durch die Luft-, Wasser-, und Bodenverseuchung durch die Exkremente, sie führt potenziell zu Antibiotikaresistenzen und sie ist eine tickende Bio-Bombe, wofür die Covid-Pandemie vielleicht erst ein Warnschuss ist. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die industrielle Massentierhaltung nicht zu stoppen. Die Frage ist: Was ist die Alternative? Ist es gut und realistisch, eine Abkehr von der Tierhaltung im Sinne des radikalen Veganismus anzustreben? Gibt es ein Zurück in eine «heile Welt» der traditionellen Tierhaltung? Oder gibt es zukunftsfähige Wege, unserer Verantwortung den Tieren gegenüber gerecht zu werden? Der moderne Biolandbau und insbesondere die biodynamische Forschung und Praxis haben Ansätze für eine Tierhaltung entwickelt, die in den Gebieten Haltung, Züchtung und Fütterung nicht nur Schäden minimieren, sondern reale Mehrwerte schaffen und die Würde des Tieres respektieren.

Der geschlossene Betriebskreislauf

Tiere leben in intensivem Austausch mit ihrer Umwelt. Für die Haustiere kommt in erster Linie der Stofffluss in Betracht, in den sie eingebunden sind. Da ist einerseits die Substanzaufnahme über das Futter und andererseits die Substanzabgabe über den Mist. Es geht darum, diese losen Enden zu verbinden und einen geschlossenen Substanzkreislauf einzurichten: Das Futter stammt vom betriebseigenen Boden, davon fressen die Tiere für ihren Erhalt und die Produktion der verkaufbaren Produkte (Fleisch, Milch, Eier usw.), der Mist wird auf dem Betrieb aufbereitet, kompostiert und kommt als hochwertiger Dünger wieder in den Boden, dessen kurz- und langfristige Fruchtbarkeit dadurch gesteigert wird. So entsteht ein geschlossener Betriebskreislauf. Die Tiere sind voll darin integriert. Dank ihrer «Durchseelung» des Substanzstromes sind sie die eigentlichen Beweger dieses Kreislaufs des Lebens. Der Betrieb wird so eingerichtet, dass die verschiedenen Tierarten genügend hofeigenes Futter haben und ihr Mist den richtigen Dünger für den Hof ergibt.
Das Wissen und die Praxis der geschilderten Tierhaltung wird durch Forschung weiter vertieft. So konnte durch die betriebseigene Düngerproduktion bakteriologisch ein positiver Rückkoppelungseffekt gemessen werden, die Autoren nannten den Effekt «homefield advantage»(1). In einem wissenschaftlichen Feldversuch wurde festgestellt, dass auf biodynamischen Böden der Klimagasausstoss um die Hälfte kleiner ist als auf chemisch gedüngten Böden(2). Die Praktiker wissen aus generationenlanger Erfahrung, dass ein geschlossener Substanzkreislauf durch eine bodengebundene, artgerechte Tierhaltung den Betrieb stabilisiert, die Resilienz erhöht und dadurch eine Einkommenssicherung auf mittlerem Niveau garantiert.

Tierwohl fördern baut Stress ab

In den Fragen der Haltung spricht man heute vom Tierwohl. Darunter versteht man Stall und Weidesysteme, die nach aktuellem Stand der Verhaltensforschung den Tieren ein artgerechtes Verhalten ermöglichen. Die schweizerische Landwirtschaft ist hier gut unterwegs. Das gilt es zu unterstreichen, denn das Bestreben nach Tierwohl ist das Gegenteil der maximalen Ausbeutung in der Massentierhaltung.
Zusätzlich ist für den biodynamischen Bauern die intensive Mensch-Tier-Beziehung wichtig. Denn das Tier ist ein seelisches Wesen und der achtsame und regelmässige Kontakt zum Menschen ist für beide Seiten eine Bereicherung.

Die positive Bilanz

Die Alternative zur industriellen Massentierhaltung ist die oben beschriebene, bodengebundene und artgerechte, respektvolle Tierhaltung. Sie basiert auf aktuellsten wissenschaftlichen Forschungen sowie auf partizipativer Praxisforschung von vielen engagierten Tierhaltern.

• Die ökologische Bilanz dieser Tierhaltung ist positiv, insbesondere durch die Bindung von Klimagasen im Humus des Bodens.
• Die gesellschaftliche Bilanz ist positiv, weil bakteriologische und virologische «Gesundheitsbiotope» entstehen.
• Die kulturelle Bilanz ist positiv, weil die Würde gegenüber «Bruder Tier» auch die Menschenwürde und den würdevollen Umgang mit der ganzen Erdennatur fördert.

 

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Ueli Hurter, Demeterbauer und Co-Leitung der Sektion für Landwirtschaft

(1) Home field advantage of cattle manure decomposition affects the apparent nitrogen recovery in production grasslands. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0038071712003835

(2)The impact of long-term organic farming on soil-derived greenhouse gas emissions. https://www.nature.com/articles/s41598-018-38207-w