FondsGoetheanum: Rudolf Steiner

Die Misteltherapie in der Onkologie. Was sie ist, was sie kann

Seit über 100 Jahren wird die Misteltherapie in der Behandlung von Krebserkrankungen erfolgreich eingesetzt. Einem Hinweis Rudolf Steiners folgend, setzte die Gynäkologin Ita Wegman 1917 erstmals die Misteltherapie bei Patientinnen mit Unterleibstumoren in fortgeschrittenem Stadium ein. Die Wirkung war erstaunlich: Sie beobachtete Temperaturanstiege bis hin zu kurzzeitigen Fieberreaktionen, gefolgt von einer eindrücklichen Zunahme der Leistungsfähigkeit, einer Verbesserung von Schlaf und Appetit, Abnahme von Schmerzen sowie in Einzelfällen Stillstand des Tumorwachstums und unerwartet lange Überlebenszeiten.

Diese anfänglichen Beobachtungen konnten seither in zahlreichen klinischen Studien und eindrucksvollen Einzelfallberichten bestätigt und teils übertroffen werden. Wie können wir die Wirkung der Misteltherapie heute verstehen? Welchen Platz nimmt sie im Spektrum der vielfältigen modernen Behandlungsmöglichkeiten der Krebserkrankung ein und welches Zukunftspotenzial steckt in ihr?

Wärmemantel und Immunsystem – War Rudolf Steiner seiner Zeit um 100 Jahre voraus?

Wie schon die ersten Erfahrungen Ita Wegmans zeigten, regt die Misteltherapie den Wärmeorganismus an. Die Mistel vermag es, in der Kälte des Winters - entgegen dem normalen Entwicklungszyklus der Pflanzen - Beeren und Blüten zu entwickeln. Was andere Pflanzen als sommerliche Sonnenwärme benötigen, um ihre Früchte zu bilden, enthält die Mistel als «gespeicherte » Wärmekräfte in sich. Dies kommt u. a. in ihren komplexen, das Immunsystem umfassend stimulierenden Inhaltsstoffen (Viscotoxine, Mistellektine u. a.) zum Ausdruck. Die unverwechselbare Wärmewirkung von Mistelpräparaten reicht je nach gewählter Dosierung und individueller Reaktionsbereitschaft von einer Verbesserung des subjektiven Wärmegefühls bis hin zu kurzzeitigen Fieberreaktionen.

Unsere Körpertemperatur wird ausserordentlich fein reguliert und hängt eng mit unserer geistigen, seelischen und körperlichen Gesundheit zusammen. Die Körperwärme integriert und harmonisiert alle Organfunktionen und bildet eine Brücke zwischen Seele und Leib: Seelische Wärme, die in einer harmonischen Menschengemeinschaft entsteht oder sich an einem grossen Ideal, für das man leben möchte, entzündet, fördert die körperliche Wärmebildung und umgekehrt.

Die Körperwärme wiederum aktiviert das Immunsystem und sorgt dafür, dass es «schlagkräftig» bleibt. Erhöhte Körpertemperatur steigert seine Wirksamkeit signifikant: In der Wärme läuft sich das Immunsystem warm. Dies zeigt sich u. a. darin, dass durch Fieber Infekte schneller überwunden werden. Andererseits können fieberhafte Infektionskrankheiten späteren Krebserkrankungen vorbeugen: Tumorpatienten haben im Vergleich zur übrigen Bevölkerung weniger fieberhafte Infekte durchgemacht und häufig auch eine eher niedrige Körpertemperatur. Die Misteltherapie mit ihrer immunstimulierenden Wärmewirkung setzt damit an einem zentralen Punkt der Krebsentstehung an: Untersucht man operierte Tumore und das sie umgebende Gewebe unter dem Mikroskop, so findet man dort meist auffallend wenige Immunzellen. Die Tumorimmunologie bezeichnet einen solchen Tumor, der für das Immunsystem nicht zugänglich ist und sich daher weitgehend ungehindert ausbreiten kann, als «kalt» («cold»).

Neueste Entwicklungen zielen daher darauf ab, den Tumor mit verschiedenen immunstimulierenden Therapieverfahren (lokal angewendete Immuncheckpoint-Inhibitoren, Viren etc.) so zu behandeln, dass er sich in einen «heissen» («hot») Tumor umwandelt, in den viele Immunzellen einwandern. Diese können im Idealfall den Tumor ganz überwinden oder die Wirksamkeit einer anderen Therapie (z. B. Chemotherapie) deutlich steigern. Für die Misteltherapie gibt es zahlreiche beeindruckende Einzelfallberichte bei unterschiedlichen Tumorarten mit einer solchen lokalen (intratumoralen) Anwendung – ein vielversprechendes Feld, das weiterer Forschung bedarf.

Als Rudolf Steiner 1922 in einem Vortrag davon sprach, dass man den Tumor mit einem Wärmemantel umhüllen müsse, um die Geschwulst aufzulösen, war die Existenz eines Immunsystems noch weitgehend unbekannt. Knapp 80 Jahre später, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, wurde die entscheidende Bedeutung der gesundenden Eigenaktivität des Immunsystems für eine dauerhafte Tumorrückbildung erkannt.

Die Misteltherapie ist somit die erste medikamentöse Immuntherapie, die systematisch angewendet und erforscht wurde. Durch ihre übergeordnete Wirkung auf den Wärmeorganismus fühlen sich die Patienten neben dem potenziell positiven Einfluss auf das Tumorgeschehen auch vitaler, zuversichtlicher und initiativer. Konventionelle Therapien (die häufig die Wärmeregulation beeinträchtigen) werden besser vertragen. Diese umfassend gesundende Wirkung auf verschiedenen Ebenen ist bis heute einzigartig.

Rudolf Steiner hat zur Heilung dieser Krankheitsform einen grossen Weg geöffnet, und unausgesetzte klinische Forschung, wie diese Therapie immer differenzierter angewendet werden kann, wird uns hoffentlich diesem Ziel bald näher bringen.

Dr. Marion Debus,

Goetheanum, Medizinische Sektion und Klinik Arlesheim, Onkologie

Foto: Jürg Buess - Iscador AG

«Es muss uns nur gelingen, die Geschwulst zu umhüllen mit einem Wärmemantel. Der ruft eine radikale Umänderung der ganzen Organisation hervor. Gelingt es uns, die Geschwulst zu umhüllen mit einem Wärmemantel, dann ... gelingt es uns auch, sie aufzulösen.»  Rudolf Steiner

Quellenangaben

 

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