FondsGoetheanum: Der Irrglaube vom grenzenlosen Wachstum

Der Irrglaube vom grenzenlosen Wachstum

Eine gesunde Wirtschaft müsse wachsen. Wachstum sei notwendig für ihr gutes Funktionieren. Dieses Apriori wird von den meisten gültigen Wirtschaftsmodellen gepredigt. Doch es missachtet die Realität: Die Welt, in der sich die Wirtschaft entfaltet, ist nicht unendlich, sie ist begrenzt.

Unsere Erde bietet beachtlich viel Raum. Sie ist jedoch in ihrer Ausbreitung begrenzt. Über lange Zeit konnte diese Tatsache vernachlässigt werden. Es gab noch viel Raum zu erschliessen. Dies ist einer der Gründe, warum sich das wirtschaftliche Verhalten und seine Theorien bis heute in Begriffen des grenzenlosen Wachstums bewegen. Dies, obwohl die natürliche Umwelt bereits in den 1960er-Jahren an Grenzen der Belastbarkeit stiess und wir beginnen mussten, uns mit der Begrenztheit der Rohstoffe zu beschäftigen und uns um unsere Abfälle und Emissionen in Erde, Wasser und Luft zu kümmern.

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Unser Planet ist begrenzt – das gilt auch für die Wirtschaft.

Zauberwort Wachstum

Für die Wirtschaft bleibt Wachstum das Zauberwort, das Bewusstsein der Begrenzung fehlt. Die grossen Kriege des 20. Jahrhunderts erlaubten in den Nachkriegsjahren, diese Realität zu vergessen: Es gab so viel Zerstörung, dass der Wiederaufbau das Problem lange überdeckte. Danach wurde das Wachstum des Nordens auf Kosten des Südens realisiert. Später und bis heute wurde die Illusion des Wachstums über die Staatsverschuldung aufrechterhalten. Näher betrachtet, gehört dieser Wachstumsdrang weltweit jedoch zu den bedeutendsten Verursachern von sozialen Unruhen, von Elend und von Krieg.

Neues Denken tut not

Die Wirtschaftsbegriffe müssen überdacht und der Begrenztheit des Wirtschaftsraums anpasst werden. Denn die Gesetze eines offenen, wachsenden Systems sind ganz andere als die eines stationären, geschlossenen. Das können wir an einem ins Wasser geworfenen Stein beobachten, der im See Wellen erzeugt, die sich ins Unendliche auslaufend bewegen. Wird der Stein in einen geschlossenen Raum, z. B. in einen runden Brunnen geworfen, beobachten wir ein anderes Phänomen: Erreicht die Welle den Rand, steht sie still und geht nur noch von oben nach unten und umgekehrt. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft. In einer geschlossenen Umgebung wird ihre Gesetzmässigkeit eine andere: Wachstum muss neu überdacht werden.

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Das Wachstum neu denken.

Zwei Arten von Wachstum

Es sind zwei Arten von wirtschaftlichem Wachstum zu unterscheiden. Das eine ist mit der Arbeit der aktiven Personen verbunden. Sie bearbeiten entweder die Natur oder steigern die Effizienz ihrer Arbeit, indem sie diese besser organisieren oder dazu Maschinen erfinden. Das andere findet ohne Arbeit statt, durch die Möglichkeit, dass Geld sich von alleine vermehrt.  

Diese zwei Wachstumsformen stehen im begrenzt zur Verfügung stehenden Wirtschaftsraum in Konkurrenz zueinander. Durch die sehr unterschiedlichen Wachstumsquoten werden dabei jene, die arbeiten, immer ärmer, und jene, die aus Geldgeschäften ihr Einkommen erlangen, immer reicher: eine weltweit festgestellte und anerkannte Tatsache der letzten drei Dekaden. 

Nun ist es undenkbar, das Wachstum, das auf der menschlichen Arbeit beruht, begrenzen zu wollen. Denn das würde bedeuten, die Kreativität des Menschen behindern zu wollen, und dadurch letztlich den Menschen selbst zu verlieren. Es gehört zu den beachtlichsten menschlichen Qualitäten, dass jeder das, wofür er sich engagiert, verbessern will. Das ist eine wichtige zivilisatorische Bewegung, die zwangsläufig eine Wachstumskomponente in sich trägt und als ständig spriessende Quelle im Wirtschaftsraum wirkt. Es ist also unmöglich, das aus der menschlichen Arbeit resultierende Wachstum begrenzen zu wollen.

Ein Loch im Geldbereich schaffen

Wenn wir nicht unter der Last der Werte im begrenzten Raum, in dem wir leben, ersticken wollen, müssen wir das andere Wachstum, das des Geldes, angehen. Wie das? Indem wir es umkehren und ein Loch im Geldbereich schaffen, sodass Geldwerte allmählich von alleine verschwinden – zum Beispiel wie dies die Schweizerische Nationalbank mit dem Negativzins eingeführt hat.  

Wollen wir verhindern, dass der notwendige Abbau der Werte schlagartig über Krise, Zerstörung und Krieg vonstattengeht, gibt es kaum einen anderen Ausweg. Ohne die bewusste Einführung eines mässigen Schrumpfens der gelagerten Geldwerte kann die Wirtschaft – weltweit und lokal betrachtet – nicht wieder gesunden. Es geht um unsere Zukunft, und mehr noch, um die Möglichkeit, in Frieden zu leben.

Marc Desaules