FondsGoetheanum: Der Irrglaube vom grenzenlosen Wachstum

Denis de Rougemont

Denis de Rougemont
Denis de Rougemont

Auch heute noch möglich: Föderalismus als Weg für Europa. 

Denis de Rougemont ist ein heute fast ver-gessener Schweizer Philosoph und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er lebte von 1906 bis 1985. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich stark für die Neuordnung Europas. Vorbild war ihm dabei die Schweiz. Es ging ihm aber nicht darum, die Institutionen der Schweiz 1 : 1 in einen grösseren, euro-päischen Rahmen zu übertragen, sondern die Idee des Föderalismus auf europäischem Boden fruchtbar werden zu lassen.  

Im Zentrum seiner Gedanken steht dabei der Mensch. Auf ihm und nicht auf Staaten, Regierungen oder Institutionen muss Europa, muss jede Form einer Gemein-schaft aufgebaut werden. De Rougemont beschreibt den Menschen als ein Wesen, das zwischen zwei Extremen steht. Auf der einen Seite das atomisierte, bindungs-lose Individuum, das sich selbst alles ist. Auf der anderen Seite das Massenwesen, dessen Wille völlig in der Gruppe verschwindet.  

Wir alle sind zum einen für uns selbst ver-antwortlich und dafür, dass wir die Aufgaben meistern, die das Leben uns stellt. Zum anderen tragen wir Verant-wortung für die Gemeinschaft, in der wir leben. Sie bietet uns den Rahmen und die Möglichkeit für unser Leben, unsere Ent-wicklung. Sie setzt sich zusammen aus unserer Familie, unseren Freunden, unserem Arbeitsumfeld, unserem Land.  

Der Mensch der Mitte ist frei und steht gleich-zeitig in der Pflicht. Er kann, ja muss der eigenen Berufung folgen und ist auf der anderen Seite in ein Gemeinwesen ein-gebunden, für das er auch Verantwortung trägt. Er ist frei und engagiert. Und aus dieser Spannung muss er ein Gleichgewicht finden, das immer neu gewonnen werden will. 

Mit welcher Haltung ist ein Mensch Teil eines Gemeinwesens? Was erwartet er von ihm? Wie geht er mit seinen Vis-à-Vis um, die sich ja in der gleichen Spannung befinden wie er? Anhand von sechs Prinzipien zeigt Denis de Rougemont, wie sich ein Gemeinwesen ent-wickeln und organi-sieren kann. Er hatte Europa als eine Konföderation vor Augen, aber der Grössenmassstab kann beliebig verändert werden. Das föderative Prinzip gilt im Grossen wie im Kleinen, für internationale Gebilde wie für Staaten, für Regionen wie für Gemeinden. Für ein gelingendes Gemein-wesen braucht es an der Basis jedoch immer die einzelnen, freien und engagierten Menschen.  

Uns, die wir in der Schweiz leben, geht es an, wie diese Schweiz funktioniert, wie die Menschen miteinander und mit den anderen umgehen. Uns geht aber auch an, was in Europa und auf der ganzen Welt passiert. Nur wenn sich die Einzelnen einander verbunden fühlen, wenn sie wissen und fühlen, dass sie das Schicksal der Menschen an einem anderen Ort der Erde angeht, können sie zu verantwortungsvollen Menschen als Teil der Schweiz, Europas, der Welt werden. 

Gemeinschaften bilden sich durch Nähe, sagt Denis de Rougemont, und er meint nicht nur die räumliche, sondern mehr noch die seelische Nähe. Nur aus dem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit lässt sich der Wille für das Miteinander entwickeln. Dieses Bewusstsein und dieser Wille sind von allen Menschen gefordert, nicht nur von den wenigen, die an den Hebeln der Macht sind, Konzerne und Staaten lenken.  

Das Bild, das Denis de Rougemont von einem föderalistischen Europa entwirft, beruht auf den freien und engagierten Menschen, auf uns allen. Es zeigt für Europas Zukunft neue Perspektiven auf.   

Christoph Cordes