FondsGoetheanum: Der Irrglaube vom grenzenlosen Wachstum

Mit Zins rechnen ist gut, weiter denken ist besser

Zinsen sind ein fester Bestandteil eines zeitgemässen Finanzwesens. Wie setzt man sie ein, um Krisen zu überwinden?

Wie der Zins auf die wirtschaftlichen Verhältnisse wirkt, hängt massgeblich von individuellen Entscheidungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Üblicherweise ist der Zins umso höher, je höher das Risiko ist.  

Nehmen wir als Beispiel eine Landwirtschaft: In guten Zeiten mit guten Ernten kann diese Landwirtschaft Kapital zur Anschaffung neuer Maschinen mit niedrigem Zins erhalten. Steigt das Risiko, sind Investoren nicht mehr so gerne bereit, Geld zu geben, da sie einen Teil des Kapitals verlieren könnten. Wenn jedoch ein höherer Zins bezahlt wird, finden sich wieder Investoren, die einen Kredit gewähren.  

Krisen verschärfen? Aufschwung zusätzlich anheizen?

Je schlechter es einem Unternehmen geht, desto mehr muss für Kredite bezahlt werden. Das betrifft nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch ganze Staaten: Nach der Finanzkrise von 2008 stiegen die Zinsen, die das tief in der Krise steckende Griechenland zur Finanzierung seiner Staatsschulden bezahlen musste, stark an. Dadurch kam das Land zusätzlich unter Druck.  

Der beschriebene Zinsmechanismus wirkt verstärkend auf die jeweilige wirtschaftliche Situation: Krisen werden verschärft, prosperierende Verhältnisse weiter verbessert. Das ist nachvollziehbar, da Investoren kein Interesse haben, höhere Risiken bei gleichen Renditen einzugehen.

Muss das so sein? Es kann nicht darum gehen, jedes Unternehmen und jede Initiative durch Zugeständnisse künstlich am Leben zu halten. Auf der anderen Seite gibt es Krisen, die zu bewältigen sind und zu neuen Entwicklungen führen. Wäre es in solchen Fällen nicht sinnvoller, zu unterstützen statt zu erschweren? Ist das überhaupt denkbar?  

FondsGoetheanum: Der Irrglaube vom grenzenlosen Wachstum
Sich dem Sog entziehen und gegen den Mainstream andenken.

Es geht tatsächlich auch anders

Moralisch ein bestimmtes Verhalten zu fordern, ist in einer Zeit, in der Menschen selbstbestimmt ihre Entscheidungen treffen wollen, fehl am Platz und wird selbstverständlich nicht zum Ziel führen. Was passiert aber, wenn Menschen die Motive und Ideen einer zu finanzierenden Initiative interessant finden und ihr finanzielles Engagement mit deren Weiterentwicklung verbinden?  

Die Erfahrung der Freien Gemeinschaftsbank zeigt, dass in solchen Konstellationen eine andere Tendenz zu erkennen ist. In Krisensituationen gewähren diese Menschen häufig Zinsreduktionen – selten werden Risikoaufschläge gefordert. Aber diese Geldgeber wollen wissen, wie die Krise überwunden werden soll. Ohne Perspektive künden sie die Gelder.  

Freiwillig antizyklisch mehr Zins bezahlen oder weniger verlangen

Bei erfolgreichem Geschäftsgang kommt es vor, dass Darlehensnehmer ihren Geldgebern einen höheren Zins bezahlen und diese so am Erfolg teilhaben können. Ähnlich verhält es sich mit der Abhängigkeit von Marktzinsen: In Hochzinsphasen sind diese Gläubiger oft bereit, auf einen Teil der Zinsen zu verzichten, da sie nicht nur die Marktsituation, sondern auch die individuelle Situation der finanzierten Initiative berücksichtigen. Häufig ist es aber auch der Fall, dass die von interessierten Menschen gegebenen Darlehen in Phasen niedriger Marktzinsen einen über dem Markt liegenden Zins erhalten.  

Insgesamt kommt es dadurch zu einer wesentlich stabileren Entwicklung der Zinsen und damit auch der Initiativen. Das kommt allen zugute. 

Was braucht es, damit sich Zinsen in diesem Sinn entwickeln können? 
1. Transparenz: Geldgeber brauchen die Möglichkeit, das finanzierte Projekt und die Initianten wahrzunehmen, um sich in ein Verhältnis dazu zu setzen.  
2. Wert und Bedeutung: Der gesellschaftliche Wert und die Bedeutung des finanzierten Projekts müssen für Geldgebende erlebbar und nachvollziehbar sein.  
3. Gestaltungsspielraum: Gläubiger und Schuldner brauchen die Möglichkeit, die Konditionen der Geldvergabe in eigener Verantwortung zu gestalten.  

Was in grossen Zusammenhängen unrealistisch scheint, ist in überschaubaren Verhältnissen machbar: die Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse und Möglichkeiten der jeweils Betroffenen beim Zustandekommen wirtschaftlicher Entscheidungen.  


Max Ruhri