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Zur Enstehung der anthroposophischen Heilpädagogik

Albrecht Strohschein, einer der Begründer der anthroposophischen Heilpädagogik, berichtet: „... wir dachten, wir könnten die vorhandene Heimbezeichnung unseres Vorgängers auf dem Lauenstein einfach übernehmen; es war ein Arzt, der ein 'Heim für pathologische und epileptische Kinder' hatte gründen wollen. -

"Nein", entgegnete Dr. Steiner, "es muß schon aus dem Titel ersichtlich sein, was dort geschieht." Ich schaute ihn fragend an, worauf er sagte: "Heil- und Erziehungsinstitut für Seelenpflege-bedürftige Kinder."

Noch immer schaute ich ihn fragend an, ich verstand die neuen Worte nicht recht, zückte aber mein Notizbuch und nun diktierte er mir Wort für Wort: "Seelenpflege groß geschrieben, bedürftige klein ... Und fügte hinzu: Wir müssen schon einen Namen wählen, der die Kinder nicht gleich abstempelt."

( aus Albrecht Strohschein: Entstehung der anthroposoohschen Heilpädagogik. M.J.Krück von Poturzyn: Wir erlebten Rudolf Steiner. Stuttgart 1970, S. 271).

Kompendium der anthroposophischen Heilpädagogik

 

Rüdiger Grimm / Götz Kaschubowski (Hrsg.)

Seit über 80 Jahren wird auf der Grundlage der Erkenntnismethode Rudolf Steiners heilpädagogische Arbeit geleistet. Begann diese Arbeit mit geistig- und lernbehinderten Kindern und Jugendlichen in Europa, hat sich daraus in den letzten Jahrzehnten eine weltweite Bewegung mit über 600 Einrichtungen entwickelt, die alle Bereiche der sozialen Arbeit umfasst. Das vorliegende Kompendium gibt einen Überblick über diese Arbeit. Dabei werden sowohl die Erkenntnisgrundlagen dargestellt und kritisch beleuchtet als auch die Arbeitsfelder und Handlungsmethoden beschrieben. Die anthroposophische Heilpädagogik wird somit in gebündelter Form umfassend präsentiert.

 

Was ist anthroposophische Heilpädagogik?

 

Die anthroposophisch orientierte Heilpädagogik wurde von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie im Jahr 1924 angeregt. Sie basiert auf einer Methodik, die von der intensiven Erforschung der Phänomene ausgeht: ‹Behinderungen›, ‹Auffälligkeiten›, ‹Störungen› - alles, was dem gewöhnlichen Blick nicht ‹normal› erscheint, bedeutet zunächst, dass sich bestimmte Tendenzen auf körperlicher, seelisch-geistiger oder sozialer Ebene sehr stark und oft auch einseitig ausgebildet haben.

Leitmotiv ist die Überzeugung, dass der Wesenskern eines Menschen, seine Individualität, nie krank, sondern nur in seiner harmonischen Entfaltung behindert oder beeinträchtigt sein kann. Der Mensch wird als Einheit von Körper, Seele und Geist gesehen. Jedem Menschen soll die Möglichkeit geschaffen werden, sich auf individuelle Art entwickeln zu können, eingebettet in einen Lebens- und/oder Arbeitszusammenhang, der Menschen mit Behinderungen, Angehörige und Mitarbeitende gleichermassen umschliesst. Die Gestaltung einer gleichwertigen Beziehung ist in der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie zentral; dem Menschen mit Behinderung wird grösstmögliche Eigenständigkeit und Selbstbestimmung, aber auch die notwendige Unterstützung und Begleitung, zugestanden.

In der anthroposophischen Heilpädagogik fliessen medizinisch-therapeutische, pädagogisch-heilpädagogische und sozialgestalterische Bemühungen zusammen. Es braucht spezifische und nicht am Hergebrachten orientierte soziale Formen für die Erziehung und Therapie der Kinder und Erwachsener, die Rudolf Steiner ‹seelenpflegebedürftig› genannt hat. Formen, welche dem Kind und Erwachsenen wie auch dem Pädagogen und Therapeuten genügend Raum und Souveränität für ihre gemeinsame Arbeit gewähren. Darüberhinaus hat die heilpädagogische und sozialtherapeutische Arbeit einen oft leisen, aber bedeutsamen Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. In einem zunehmend enger werdenden Rahmen von Normalität und, vor allem, Funktionalität fällt der einzelne Mensch mit Behinderung auf, er ‹stört› und wird ausgesondert. Diese ablehnende Haltung verkennt den wesentlichen Beitrag von Menschen mit Behinderung oder Entwicklungsstörung für die Gesellschaft. Ein Beitrag, der aber nur fruchtbar werden kann, wenn er angenommen wird. Zeugnis davon legen etwa Eltern ab, welche von der Wirkung ihres behinderten Kindes für die Familie berichten, und von dem eigenen Weg, den sie gegangen sind in dem Bemühen, ihr Kind zu verstehen und ihm zu helfen.

 

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» hier finden Sie ein Dokument der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie
Was ist anthroposophische Heilpädagogik?
von Autor: Bernhard Schmalenbach