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Der Haager Kreis

Der Haager Kreis ist die Internationale Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung. Zweimal jährlich treffen sich tätige Waldorfpädagogen aller Kontinente zu einer mehrtägigen Konferenz in einem der beteiligten Länder oder am Goetheanum in Dornach.

Die Konferenzen dienen der gegenseitigen Verständigung und dem Austausch über zentrale pädagogische Fragen, die eine überregionale oder weltweite Bedeutung haben. Die Mitglieder der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung bringen ihre Erfahrungen in die Konferenzen ein und beraten auf Grundlage einer differenzierten Wahrnehmung über die essentiellen Kriterien der Waldorfpädagogik und über ihre Ausgestaltung in ganz unterschiedlichen geografischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Regionen der Erde.

Die Teilnehmer der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung werden in Abstimmung mit den die Waldorfpädagogik in ihren jeweiligen Ländern verantwortenden Institutionen berufen. Sie stehen in engem Kontakt mit der pädagogischen Arbeit ihrer Länder und verstehen sich als Botschafter eines pädagogischen Impulses, dessen allgemein-menschliche Gesichtspunkte sowohl der Entfaltung der individuellen Persönlichkeiten wie einer vielfältig differenzierten globalen Kultur dienen wollen.

Entwicklungswege der Ausbildung

Übergreifende Einrichtungen und Entwicklung bis heute

 

Die verschiedenen Einrichtungen und Forschungsprojekte zur Erforschung und Entwicklung des neuen pädagogischen Ansatzes und seiner Grundlagen werden heute von der Pädagogischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft wahrgenommen. Neben der durch die wöchentlichen Lehrerkonferenzen veranlagten praxisnahen Forschung in den Schulen und der zwischen den 50er- und 80er-Jahren sich breit entfaltenden regionalen und internationalen Tagungs- und Fortbildungskultur gibt es seit den 80er-Jahren Forschung zur Waldorfpädagogik zunehmend an Hochschulen. Neben Dissertationen, Habilitationen und Forschungsprojekten im Rahmen von Universitäten entstehen eigene Forschungsstellen oder Institute für Waldorfpädagogik, vor allem im Zusammenhang mit der Lehrerbildung, so z. B. die 1984 gegründete Pädagogische Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen (s.u.) in Stuttgart und Kassel. Eine vielfältige und gut erschlossene Literatur zur Waldorfpädagogik ist aus diesen Arbeiten hervorgegangen. Die Ausbildung der Lehrer an Waldorfschulen geschieht bis in die 50er-Jahre vorwiegend als Weiterbildung in Kursen und Tagungen; seit 1925 bestehen, neben den Versuchen des Jena-Zwätzener Pädagogischen Arbeitskreises, Ansätze für ein eigenständiges pädagogisches Seminar in Stuttgart.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg beginnen in Deutschland erstmalig ganzjährige Lehrerausbildungskurse (Mitwirkende u. a.: Erich Gabert, Sophie Porzelt), die 1951 zu einem vom Bund der Freien Waldorfschulen (s.u.) getragenen Lehrerseminar entwickelt werden. Kurz darauf, 1953, entsteht am Goetheanum in Dornach ein Lehrerseminar, 1962 am Emerson College (GB) die erste englischsprachige Waldorflehrer-Ausbildungsstätte. Entsprechend der Ausbreitung der Schulen sind bis heute 65 Ausbildungsstätten in 27 Ländern zur Pädagogik Rudolf Steiners entstanden.

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Das 1961 gegründete Rudolf Steiner-Lehrerseminar in Järna, bei Stockholm. Der Erfahrungsaustausch und die Koordination der international wachsenden Schulinitiativen wird seit den 20er-Jahren in verschiedenen Kooperationen praktiziert. Erste Versuche der Realisierung eines von Rudolf Steiner seit 1920 angeregten „Weltschulvereins“ zur Förderung von freien Schulen, über die lokal orientierten Schulträgervereine der Waldorfschulen hinaus, scheitern Mitte der 20er-Jahre (Willem Zeylmans van Emmichoven). Die Idee eines solchen Zusammenhangs wird in verschiedenen Formen in der Folgezeit aufgegriffen.

Die institutionelle Entwicklung der Waldorfschulbewegung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist stark durch den „Bund der Freien Waldorfschulen“ in Stuttgart geprägt. Als Reaktion auf den wachsenden politischen Druck auf die Waldorfschulen in Deutschland Anfang der 30er-Jahre wird von Annie Heuser, Ines Arnold, Ernst Weißert, Christoph Boy und René Maikowski am 10. Mai 1933 zur Verteidigung gegen Angriffe eine „Reichsbund der Waldorfschulen“ und kurz darauf „Bund der Waldorfschulen“ genannte Vereinigung „improvisiert“ (s. Leist 1998, S. 17 f.).

In der Nachkriegszeit wird in Deutschland seit 1946 zweimal jährlich zu einer Gesamtkonferenz der Waldorflehrer eingeladen, um gemeinsame Aufgabenstellungen zu beraten. Aus dieser Initiative geht der am 15. Juli 1949 gegründete „Bund der Waldorfschulen e.V.“ hervor, der, durch die Schulen und Einzelmitglieder getragen, gemeinsame Aufgaben wie Lehrerausbildung, Tagungsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit und politische Vertretung der Waldorfschulen in Deutschland wahrnimmt (Gründungsmitglieder: Erich Schwebsch (Vorsitz), Emil Kühn, Ernst Bindel, Sophie Porzelt, Emil Leinhas, Konrad Sandkühler und Walter Rau. Später u. a.: Ernst Weißert, Herbert Hahn, Helmut von Kügelgen, Christoph Lindenberg).

Der Bund bildet neben dem geschäftsführenden Vorstand Ausschüsse für verschiedene Aufgaben, u. a. den „Beraterkreis“, der repräsentierende Funktionen wahrnimmt und bei Schulgründungen hilft (Anfangs u. a.: Hermann von Baravalle, Carl Brestowsky, Erich Gabert, Georg Hartmann, Gisbert Husemann, Helmut von Kügelgen, Siegfried Pickert, E. A. Karl Stockmeyer, Johannes Tautz, Robert Zimmer) (vgl. Leist 1998, S. 37 ff.).

Der „Bund der Freien Waldorfschulen“ gibt die Zeitschrift „Erziehungskunst“ heraus, die – mit Unterbrechung zwischen 1937 und 1948 – bis heute monatlich erscheint (Redaktion u. a.: Caroline von Heydebrand, Friedrich Hiebel, Erich Schwebsch, Helmut von Kügelgen, Manfred Leist).

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der ersten Waldorfschule in Stuttgart wird Pfingsten 1970 der Haager Kreis zunächst als Arbeitsgemeinschaft und Verwaltungskonferenz von europäischen Waldorfschulen gegründet (u. a. Ernst Weißert, Wim Kuiper). Seit 1951 haben sich Vertreter der holländischen, englischen und deutschen Schulen in Den Haag oder Stuttgart getroffen (Vorsitz: Francis Edmunds), um Tagungen vorzubereiten und Interessen der Waldorfschulen international vertreten zu können. Ebenso besteht seit Mitte der 60er-Jahre die von der Pädagogischen Sektion ausgehende Initiative, einen pädagogischen Beratungskreis aufzubauen, um die „Weltschulbewegung am Goetheanum auf dem Boden der Pädagogischen Sektion“ zusammenzufassen (N 1965, Nr. 42).

Mit der wachsenden Internationalisierung der Schulbewegung und der Kooperation von Sektion und Haager Kreis, u. a. in der gemeinsamen Vorbereitung von internationalen Lehrertagungen (Weltlehrertagung, Jørgen Smit) seit 1979, versucht der Haager Kreis heute als Organ der Pädagogischen Sektion den geistigen Zusammenhang zwischen den Schulen weltweit aus den anthroposophischen Grundlagen zu fördern.

In Anknüpfung an den „Verein für ein freies Schulwesen“ (s. o.) wird 1971 von Ernst Weißert mit Manfred Leist der „Verein der Freunde der Waldorf-Pädagogik e.V.“ gegründet, um der internationalen Schulbewegung gesellschaftlichen und finanziellen Halt zu geben. Durch eine Gruppe von ehemaligen Waldorfschülern wird 1976 ein „Internationaler Hilfsfonds“ innerhalb des nun „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.“ genannten Vereins eingerichtet, „mit dem Ziel, ein Schulwesen zu schaffen, in dem die an dem Bildungsprozess Beteiligten selbst ohne staatliche Eingriffe Erziehung und Unterricht gestalten können und diese Möglichkeit nicht auf das westliche Europa zu beschränken“ (Freunde der Erziehungskunst [Hrsg.] 2001, S. 13). Heute können jährlich einige Millionen Euro Spenden zu 100 Prozent in die Unterstützung von Schulinitiativen, Lehrerausbildung und pädagogisch orientierter Entwicklungshilfe vermittelt und eine Zusammenarbeit mit internationalen Gremien wie der UNESCO realisiert werden.

Parallel zur weiteren Internationalisierung und Pluralisierung der Erscheinungsformen der Waldorfschulen in den 90er-Jahren entsteht einerseits ein Diskurs über die identitätsbildenden Faktoren dieser Pädagogik und andererseits Zusammenarbeit mit verwandten Initiativen auf Verbandsebene und eine Differenzierung in weitere Organe.

So besteht u. a.

  • seit 1990 das „Europäische Forum für Freiheit in der Erziehung“ (EFFE),
  • seit 1991 das „European Council of Rudolf Steiner Waldorf Schools“,
  • seit 1993 die „Internationale Assoziation für Waldorfpädagogik in Mittel- und Osteuropa und weiter östlichen Ländern“ (IAO) und
  • seit 1999 die „Alliance for Childhood“.

(Robin Schmidt, Literatur und Quellen: GA 293–311, GA 259; BGA, Nr. 27/28, 31; Freunde der Erziehungskunst [Hrsg.]: Waldorfpädagogik weltweit. Ein Überblick über die Entwicklung der Waldorfpädagogik sowie der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie, Berlin 2001; Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners [Hrsg.]: Waldorfpädagogik. Ausstellungskatalog anlässlich der 44. Sitzung der Internationalen Konferenz für Erziehung der Unesco in Genf, Stuttgart 1994; Gabert, Ernst: Lehrerbildung im Sinne der Pädagogik Rudolf Steiners. Das Lehrerseminar der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 1961; Götte, W. M.: Erfahrungen mit Schulautonomie – Das Beispiel der Freien Waldorfschulen im 20. Jahrhundert, Diss. Bielefeld 2000; Husemann, Gisbert/Tautz, Johannes [Hrsg.]: Der Lehrerkreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorfschule 1919–1925, Stuttgart 1977; Leber, Stefan u. a.: Die Pädagogik der Waldorfschule und ihre Grundlagen, Darmstadt 1992; Leist, Manfred: Entwicklungen einer Schulgemeinschaft. Die Waldorfschulen in Deutschland, Stuttgart 1998; Lindenberg, Christoph: Rudolf Steiner. Eine Biographie, Stuttgart 1997; Tautz, Johannes: Lehrerbewusstsein im 20. Jahrhundert, Dornach 1995; Werner, Uwe: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1999; EK, Sondernummer August/September 1969; Berichtsheft des Bundes der Freien Waldorfschulen (insbes. Advent 1982); Archiv der Forschungsstelle Kulturimpuls; N; Rpäd; MbW; FW; BP; AB; Msch; O; RSS; ZP; Ber; CaM; EK; VOp; Med; EaA)