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DAS KIND ALS SINNESORGAN

Zum anthroposophischen Verständnis der Nachahmungsprozesse

von Peter Selg

Rudolf Steiner beschrieb in zahlreichen Vorträgen die umfassende Bedeutung der Nachahmungsprozesse der frühen Kindheit, bis in physiologische Einzelheiten hinein. Die sinnesempirischen Forschungsergebnisse zur frühkindlichen Entwicklung, darunter die Bindungs- und Neuroplastizitätsforschung, gaben ihm im weiteren Fortgang des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll Recht, ohne seinen erkenntnismethodischen Ansatz und seine konkreten Einsichten auch nur anfänglich zur Kenntnis zu nehmen. Die Studie aus dem Ita Wegman Institut stellt die anthroposophscihe Anthropologie der kindlichen Nachahmungsprozesse und ihre Bedeutung für die gesamte Entwicklung des Kindes im Werk Rudolf Steiners dar.

2015, 112 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-905919-40-0, CHF 20 / EUR 18

Entwicklungsgeschichte ab 1921

Die weitere Entwicklung

Wegen der wachsenden Schülerzahl der Stuttgarter Schule wird im Dezember 1921 der Grundstein für einen neuen Schulbau auf demselben Gelände gelegt und bereits seit 1920 die Konzeption der Schule dahingehend geändert, dass nicht mehr nur vorwiegend Kinder von Werksangehörigen die Schule besuchen können und auch die Lehrer nicht mehr Angestellte der Waldorf-Astoria sind, sondern der am 19. Mai 1920 gegründete „Verein Freie Waldorfschule“ für die Anstellung der Lehrer, die Finanzierung der Schule und die Regelung der rechtlichen Angelegenheiten zuständig ist. Mit dessen Umbenennung in „Verein für ein freies Schulwesen“ im September 1922 löst sich die Schule weiter vom Betrieb und übernimmt nun auch die Verantwortung für die Gründung von weiteren Schulen nach deren Vorbild.
Den Vorsitz des Vereins haben inne: Rudolf Steiner (bis 1925), Albert Steffen (bis Mai 1934), Emil Molt (bis Juni 1936), Emil Kühn (bis zur Auflösung Mai 1940). 1923 kommt ein Verwaltungsrat (Paul Baumann, Herbert Hahn, Erich Schwebsch) hinzu. Die pädagogischen Entscheidungen und die unmittelbaren schulischen Belange werden vom Lehrerkollegium gemeinsam beraten und entschieden; für die Gestaltung des Unterrichts ist der Lehrer selbst verantwortlich. Rudolf Steiner nennt diese Form der Selbstverwaltung „republikanisch-demokratisch“.
Bis 1924 hat die Schule im Verhältnis zu 1919 viermal so viele Lehrer (47) mit 784 Schülern in 23 Klassen, die Oberstufe ist voll ausgebaut und wegen des großen Schülerandrangs werden Parallelklassen eingerichtet. Ein in das Lehrerkollegium integrierter Schularzt, der auch Unterricht erteilt (seit 1920, Eugen Kolisko), eine Hilfsklasse für lernschwache oder behinderte Kinder (seit 1920, Karl Schubert) und der erste Waldorfkindergarten (erste Anfänge 1920, Eröffnung 1926, Elisabeth von Grunelius) kommen hinzu. Zum Kollegium der Schule gehören in der ersten Zeit außer den schon Genannten u. a.: Ernst Bindel, Fritz von Bothmer, Karl Ege, Erich Gabert, Ernst Lehrs, Maria Röschl, Konrad Sandkühler, Alexander Strakosch, Martin Tittman, Ernst Uehli, Max Wolffhügel.
Das wachsende überregionale und internationale Interesse an der Pädagogik Rudolf Steiners in den verschiedenen Ländern führt in den nächsten Jahren zu Schulgründungen in folgenden Städten:

  • 1921 in Köln („Neuwacht-Schule“, existiert bis 1925, Wilhelm Goyert, Gottfried Husemann, Walter Birkigt)
  • 1922 in Hamburg-Wandsbek (Max Kändler, Heinz Müller, Friedrich Kübler) und Essen (existiert bis 1936, René Maikowski)
  • 1923 in Den Haag (Daniel van Bemmelen, Hélène Droogleever Fortuyn-Bruinier, Max Stibbe, Elisabeth Mulder-Seelig)
  • 1925 in London („The New School“, später „Michael Hall School“, Margaret Bennell, Margaret Cross, Cecil Harwood, Francis Edmunds, William Mann, Helen Fox)
  • 1926 in Basel (Friedrich Widmer, Marie Widmer, Emma Ramser), Budapest (existiert bis 1933, Maria von Nagy, Carl Brestowsky), Hannover (Mathilde Hoyer, Karl Rittersbacher), Kings Langley (GB, Violetta Plincke), Lissabon (existiert nur kurze Zeit, René Maikowski) und Oslo (existiert bis 1936, Signe Roll-Wikberg, Curt Englert-Faye)
  • 1927 in Wien (Gusti Bretter, Hannah Krämer-Steiner, Ilse Rascher-Bode, Adelheid Fleischhacker) und Zürich (Curt Englert-Faye, Johannes Waeger, Max Schenk, Marguerite Lobeck, Anna Elisabeth Englert-Faye)
  • 1928 in New York (Arvia Mckaye-Ege) und Berlin
  • 1929 in Bergen (Borghild Thunold, Dan Lindholm, Ernst Sørensen, Nils Hertzberg) und Dresden (Elisabeth Klein)
  • 1930 in Breslau, Hamburg-Altona (Paula Dieterich, Julius Solti) und Kassel.

 

Die weitere Entwicklung

Zudem besteht seit Februar 1921 in Dornach die „Friedwart-Schule“, die als Fortbildungsschule für Jugendliche ab 14 Jahren geführt wird, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen keine Grundschule ermöglichen (Ernst Blümel, Louise van Blommestein, Marie Groddeck, Hilde Boos-Hamburger, Hermann Linde). Sie wird zeitweise auch als Internat betrieben und besteht bis in die 50er-Jahre. Bis 1933 kommen weitere neun Schulgründungen hinzu, die Schulen in Essen, Köln, Lissabon und Budapest bestehen dann schon nicht mehr. So gibt es 14 Jahre nach der ersten Gründung 1919 17 Waldorfschulen mit ca. 3.200 Schülern, davon acht in Deutschland. Ab 1934 kommt es in den deutschen Schulen zu Aufnahmesperren, „da der Unterricht und die Erziehung der Waldorfschule den Grundsätzen des Nationalsozialismus nicht entsprechen und da nicht zu erwarten ist, dass die Lehrerschaft […] sich mit Überzeugung zu diesen Grundsätzen bekennen kann“ (nach Werner 1999, S. 107 f.), es folgen zwischen 1936 und 1941 Selbst- und Zwangsschließungen der Schulen in Deutschland; nach der Besetzung Österreichs 1938 die Schließung der Wiener Schule und 1941 der Schule in Den Haag. Mit der Emigration von Lehrern in die Schweiz, USA oder nach England entstehen dort Neugründungen, andere warten während der Zeit des Nationalsozialismus auf die Möglichkeit, die Schulen unter neuen politischen Bedingungen wieder zu eröffnen.

So können nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte Oktober 1945 die Schulen in Hamburg-Wandsbek, Hannover und Stuttgart wieder mit dem Unterricht beginnen und drei neue Schulen gegründet werden: in Stuttgart/Engelberg, in Marburg und in Tübingen. 1951 gibt es in Deutschland bereits 24 Schulen und viele weitere gründungswillige Eltern und Schulvereine – jedoch nicht genügend ausgebildete Lehrer, was zu einem Gründungsstopp des Bundes der Waldorfschulen in Deutschland (s.u.) führt, sodass bis Ende der 60er Jahre in Deutschland nur einzelne Schulen (Wilhelm-Ernst Barkhoff) hinzukommen. Bis 1955 entstehen in Großbritannien vier weitere Schulen, in der Schweiz und den USA je drei, in Dänemark und Frankreich je zwei, in Finnland, Schweden, Italien, Argentinien und Brasilien jeweils eine, sodass bis Mitte der 50er-Jahre weltweit 62 Schulen, davon 53 in Europa und neun in Amerika arbeiten. Ende der 60er-Jahre setzt ein zweiter Schub von Neugründungsinitiativen ein, der auch durch den Gründungsstopp nicht mehr aufgehalten werden kann. Bis 1975 verdoppelt sich die Anzahl der Schulen auf 113 weltweit, bis 1992 sind es 567 Schulen, im Jahr 2000 sind es 877 Schulen, davon 178 in Deutschland.

Diese Ausbreitung bringt eine vielfältige Differenzierung mit sich: Je nach kulturellen, religiösen und regionalen Kontexten entstehen eigene Modelle und Lehrpläne, z. B. mit Schwerpunkt auf integrierter Lehrlingsausbildung (Hibernia-Schule in Herne, Waldorfschule Kassel), mit Waldorfschulpädagogik in staatlichen Schulen (Freie Pädagogische Vereinigung), aber auch pädagogische Arbeit mit straffälligen Jugendlichen, Internatsschulen, pädagogische Kulturarbeit in Elendsvierteln, Schulmodelle zur Integration von Minderheiten, heilpädagogische Schulen (Heilpädagogik und Sozialtherapie) und Sonderschulen u. v. a. aus diesem neuen pädagogischen Ansatz (Überblick und Statistik in: Freunde der Erziehungskunst, 2001).