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Erdentwicklung aktuell erfahren

Geologie und Anthroposophie im Gespräch. Beiträge von Christine Ballivet, Jochen Bockemühl, Wolf-Christian Dullo und vielen anderen.

«Es könnte wie ein Alp lasten auf jener Weltanschauung, welche die Geisteswissenschaft zu ihrer Grundlage hat, wenn in Ernst und in Wahrheit diese Weltanschauung in einen Gegensatz kommen müsste zu den berechtigten Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung [...]. Insbesondere aber müsste es bedrückend wirken, wenn diese Geisteswissenschaft sich in Widerspruch setzen müsste mit einem Zweige naturwissenschaftlicher Forschung, der verhältnismässig zu den jüngsten gehört, der aber durch seine Eigenart, seine besonderen Aufgaben geeignet ist, nicht nur im tiefsten Sinne des Wortes das menschliche Interesse zu erregen, sondern der auch Perspektiven eröffnet in dasjenige, was wir nennen das Werden unseres Planeten sowohl, wie das Werden und die Wandlung jener Geschöpfe, welche diesen Planeten bevölkern. Dieser junge Zweig naturwissenschaftlicher Forschung ist die Geologie [...].»

Rudolf Steiner: Was hat die Geologie über Weltentstehung zu sagen? Vortrag, Berlin, 9. 2. 1911

DIE EVOLUTION DER MINERALE ZWISCHEN KOSMOS UND ERDE

Entwurf einer Mineralogie und Kristallografie der lebendigen Erde

von Dankmar Bosse

Die Evolution der Minerale wendet sich an Mineralfreunde und alle beruflich mit Mineralen Arbeitende wie Lehrer, Ärzte oder Landwirte – also an alle, die einen verstehenden Zugang zu diesem Naturreich suchen, den sie über die Fachwissenschaften nicht gewinnen können. Das Buch setzt weder geowissenschaftliche noch geisteswissenschaftliche Kenntnisse voraus.

In dem Buch wird die Entwicklung der Minerale während der Bildung der Gesteine beschrieben. Diese Werdeprozesse werden meist an Bilderfolgen von häufigen, allgemein bekannten Mineralen und Mineralgruppen dargestellt. Es ist keine beschreibende, spezielle Mineralogie nach der üblichen chemischen Systematik und kein Bestimmungsbuch. Die Ordnung der Minerale ergibt sich aus der Evolution der Gesteinssubstanzen während der Erdgeschichte. Auch die Kristallformen werden nicht nur beschrieben, sondern ihre Entwicklungen in kontinuierlichen Zerfallsreihen aus dem Ganzen in die Einzelheiten verfolgt. Dadurch wird erst der Zusammenhang ihrer strengen Gesetzmäßigkeiten mit den zahlreichen harmonischen Ordnungen in der Natur verständlich.

Die Darstellungen beruhen auf drei methodischen Erkenntnisfeldern: den heutigen Geowissenschaften, der goetheschen Erkenntnismethode und der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. Die Basis bilden die exakten Beschreibungen der Mineralogie, Petrografie und Kristallografie. Da sie jedoch keinen real vorstellbaren Zugang zu den Entstehungsprozessen ergeben, kann die goethesche Methode weiterführen. Wird sie geschult, so kann durch den Vergleich der einzelnen Stufen die Idee der Werdeprozesse – wie Goethe schreibt – in «exakter sinnlicher Fantasie» gewonnen werden. So gelangt man zu der Biografie der Substanzen und Formen während der Erdgeschichte. Deshalb wurden viele Abbildungen auf Doppelseiten in Folgen oder Gruppen angeordnet – nicht nur als Illustrationen, sondern als Vorstellungshilfen. Zahlreiche Querverweise vermitteln zwischen zusammengehörigen Phänomenen, damit ein Gesamtbild entstehen kann.
Wird diese goetheanistische Betrachtungsart geübt, so kann zum Dritten die geistige Seite der Substanz- und Gestaltungsprozesse innerlich evident erfahren werden, wie sie durch die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners beschrieben wird. Damit kann ein neues Verständnis der geistigen Seite der irdischen Werdeprozesse des Mineralischen erreicht werden. Die Erde wird dadurch als Organismus erkannt, in dem bei ihrer Entstehung die Kräfte und Wesenheiten des Kosmos wirkten, die auch mit dem Menschen zusammenhängen. So erweist sich die Fruchtbarkeit der Geisteswissenschaft auch in der Mineralogie und Kristallografie, nachdem sie sich bereits in der Geologie und Paläontologie bewährt hat, wie von mir 2002 in dem Buch «Die gemeinsame Evolution von Erde und Mensch», dargestellt wurde.

2015, 693 Seiten mit 1443 farbigen Abbildungen, zwei Bände im Schuber, Grossformat 21 x 28 cm, ISBN 978-3-905919-68-4, CHF 132 / EUR 120

Geologie und Anthroposophie

Diese klare und eindeutige Absichtsbekundung (Zitat Spalte links) des Begründers der Anthroposophie mag denjenigen überraschen, der als ein zentrales Anliegen der anthroposophischen Weltanschauung die Überwindung der "materialistischen Ansichten" der Naturwissenschaften und insbesondere der Geologie vermuten würde. Aber widerspricht Rudolf Steiner sich nicht dann selber, wenn er von einem Ursprung der heutigen Erde aus früheren, geistigeren Zuständen spricht, während in den Weltbildern der heutigen (und auch schon damaligen!) Geologie gewiss nichts derartiges zu finden ist? Vergleicht man einfach nur fertige Weltbilder, dann scheint das in der Tat so zu sein. Geben wir uns mit fertigen Weltbildern zufrieden, verzichten wir allerdings auch von vornherein auf jede eigene Beurteilungsmöglichkeit; dann sind die Weltbilder der Geologie und der Anthroposophie nur zwei unter vielen anderen Entwicklungsbildern, die im Laufe der Zeit in der Menschheit gelebt haben.

Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Aussenwelt, so heiss ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.

Goethe in seinem Aufsatz über Winkelmann, zitiert nach Rudolf Steiner: Die Rätsel der Philosophie.

Kann man sich einen solchen Begriff von Wahrheit zu eigen machen, dann lässt sich das Problem lösen. Es bedeutet dies aber, sich von allgemeinen Denkgewohnheiten zu verabschieden, von denen heute niemand ganz frei ist. Denn "Wahrheit" ist dann nicht die einzig richtige Vorstellung, Theorie oder Idee von einer "an sich" existierenden Welttatsache. Sie ergibt sich erst in der bewussten Auseinandersetzung nicht nur mit den äusseren Tatsachen, sondern auch mit mir selber und meinem eigenen Verhältnis dazu, während von einer Wirklichkeit "an sich" überhaupt nicht gesprochen werden kann. Es wird dabei aber auch etwas gewonnen: Kenne ich nicht nur unterschiedliche Weltanschauungen (die mir vielleicht auch gewohnter oder ungewohnter, sympathischer oder unsympathischer, plausibler oder weniger plausibel noch zusätzlich erscheinen), sondern jeweils auch mein eigenes Verhältnis zu ihnen und zur den ihnen zugrunde liegenden Erfahrungen, dann habe ich auch erst eine solide, eigene Urteilsfähigkeit über die verschiedenenen Weltsichten gewonnen.

So aber kann der Mensch auch nur die Dinge und Wesenheiten der Welt betrachten. Alles, was er über sie sagen kann, muss er als Ansichten sagen, die von verschiedenen Gesichtspunkten aus gelten. So ist es nicht bloss bei der sinnenfälligen Beobachtung der Dinge, so ist es auch im Geistigen. [...] Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt. Und sie ist erst dann widerlegt, wenn nachgewiesen ist, dass ihr eine andere berechtigterweise widersprechen darf, welche von demselben Gesichtspunkte aus gegeben ist.

Rudolf Steiner: Anthroposophie (Ein Fragment aus dem Jahre 1910)

Hiermit ist ein Weg gewiesen, der den zunächst scheinbar auftretenden Widerspruch zwischen geologischer und anthroposophischer Ansicht über die Entwicklung von Erde, Mensch und Naturreichen tatsächlich überbrücken kann. Und so sagt Rudolf Steiner denn auch im ganz oben zitierten Vortrag weiter:

Die Geisteswissenschaft lässt sich von den geistigen Tatsachen sagen, was diese von den Weltengeheimnissen zu sagen haben. Naturwissenschaft blickt mit ihren Methoden auf das hin, was sich ihr ergeben hat. Beide stehen in vollstem Einklang.

Dieser Einklang ergibt sich aber natürlich nur, wenn beide Seiten ihre Aussagen strikt auf den Bereich beschränken, aus dem sie ihre Erfahrungen holen! Da ist denn auch der einzige Vorwurf, den man an die Adresse der heutigen naturwissenschaftlichen Weltsicht machen kann: Sie betrachtet sich auch da noch als kompetent, wo sie überhaupt nicht hinschaut, namentlich im Bereich der seelisch-geistigen Erfahrungen. Man könnte in heutigen Worten sagen: Wo sie ihren Erfahrungsbereich überschreitet wird sie ideologisch. Bei Rudolf Steiner heisst es hingegen:

Und wenn Sie nicht jene populären Werke nehmen, die sagen: "das und das steht wissenschaftlich fest", sondern wenn Sie zu den Quellen gehen, dann können Sie insbesondere auf dem Gebiete der Geologie finden, wie die Geologen überall bis zu einem gewissen Punkte vordringen und dann Fragezeichen hinsetzen. [...]

Wir sind also aufgerufen, die Geologie nicht in erster Linie dort beizuziehen, wo sie schon populär (und ideologisch) geworden ist, sondern dort, wo sie noch nahe bei ihrer Erfahrungsgrundlage (bei ihren "Quellen") sich befindet, d.h. bei den Beobachtungen im Bereich der Gesteine.

Ein einfaches Beispiel

Stellen Sie sich vor, Sie kommen abends nach Hause und finden dort vor dem offenen Fenster einige Tonscherben, ein paar Blumen und einen nassen Teppich. Verzichten Sie nun einmal auf Ihre eigene seelisch-geistige Erfahrung (z.B. Erinnerung daran wie es am Morgen noch ausgesehen hat usw.) und schauen sich nur das Vorgefundene an. So wie der Geologe, der die Welt betritt und dort zertrümmerte Gesteine usw. vorfindet. Sie werden erkennen, dass die Scherben "offensichtlich" früher einmal eine Vase gebildet haben: sie passen nämlich zusammen. Da die Blumen nur wenig verwelkt sind, standen sie "offensichtlich" noch bis vor kurzem in dieser Vase, in der sich auch das Wasser befand, das jetzt im Teppich sich befindet. "Offensichtlich" stand die Vase auch noch auf dem Fensterbrett und wurde vom aufgehenden Fensterflügel hinuntergestossen. Irgendwo stossen Sie dann gewiss auch an Grenzen dieser Rekonstruktion: Warum ging das Fenster auf? War es die Katze oder der Wind? Und warum war es nicht richtig geschlossen? Usw.

Nehmen Sie nun ihr eigenes, seelisch-geistiges Inneres mit hinzu, dann ergeben sich noch andere Aspekte, insbesondere aus Ihrer Erinnerung. Sie werden dann vielleicht wissen, dass Sie selber das Fenster nach dem morgendlichen Durchlüften nicht wieder richtig geschlossen haben. Und Sie werden auch nicht nur wissen, wie die Vase in Trümmer ging, sondern vielleicht auch noch, wo und wie Sie sie bekommen haben und vielleicht sogar, wie sie entstanden ist, und ebenso für die Blumen. Diese ganz offensichtlich noch ganz anderen "Geschichten" widersprechen der ersten, "geologischen" Sicht ja nun keineswegs, sondern sie ergänzen sie einfach.

In Bezug auf die Erde können wir nun nicht einfach unsere Erinnerungen zu Hilfe rufen. Wir können uns aber klar machen, dass ja auch in den Erfahrungen, die wir zunächst im "geologischen" Sinne verstanden haben, seelisch-geistige Erfahrungen eingeflossen sind. Insbesondere kann überall dort, wo oben von "offensichtlichen" Schlussfolgerungen die Rede war diese Offensichtlichkeit hinterfragt werden, denn dahinter stehen meine eigenen Einsichten über die innere Natur der verschiedenen Weltbereiche, vom Zerbrechen fester Gegenstände über die Art, wie das Leben von  Blumen mit dem Wasser zusammenhängt bis hin zur Fähigkeit von Katzen, angelehnte Fenster aufzustossen. Was zwar auch der Wind kann, aber aus völlig anderen Ursachen heraus, usw.

Was hier angedeutet wurde ist ein Weg mit vielen Hindernissen, aber in kleinen Schritten kann man dennoch sehr wohl vorwärts schreiten. Einige Beispiele wurden im Buch "Erdentwicklung aktuell erfahren - Geologie und Anthroposophie im Gespräch" (herausgegeben von Cornelis Bockemühl) näher ausgeführt. Weitere Literatur, zum Teil auch von ganz anderen Ansätzen ausgehend, findet sich im untenstehenden Verzeichnis. Einführend kann auch jeder geologische Führer empfohlen werden, der in erster Linie an die unmittelbaren Erfahrungen mit den Gesteinen in der Landschaft heranführt und nicht nur "Weltanschauung" vermittelt.

Cornelis Bckemühl