FondsGoetheanum: Medizin, Therapie und Pflege

Vom Ursprung der Gesundheit

Statt wie in der konventionellen Medizin vor allem nach der Entstehung einer Krankheit, der Pathogenese, zu fragen, geht die Salutogenese den Ursachen von Gesundheit nach.

«Ist der Mensch also wirklich nicht mehr als das zufällige Resultat seiner leiblichen Konstitution, seiner charakterologischen Disposition und seiner gesellschaftlichen Situation?» Mit dieser Frage haben sich der Wiener Neurologe und Psychotherapeut Viktor Frankl und der israelische Soziologe Aaron Antonovksy intensiv beschäftigt. Beide stellten fest, dass Menschen unter extremen körperlichen und seelischen Belastungen dennoch gesund bleiben können. Antonovsky fühlte sich getrieben von der Frage, welche Kräfte im Menschen dies ermöglichen. Dieser Perspektivenwechsel wurde als «Salutogenese» bekannt.

Vitales hervorholen und stärken

Anthroposophische Medizin ist seit jeher salutogenetisch orientiert, spricht die Selbstheilungskräfte und die Selbstkompetenz des Patienten an. Ausgehend von einem vielschichtigen Menschenbild fragt sie immer nach den gesundenden Kräften im Patienten. Es werden nicht nur die Einbrüche im komplexen Wirkgefüge der menschlichen Organisation erfasst, sondern ebenso die vitalen und geistigen Ressourcen des Patienten. Sowohl die medikamentösen als auch die künstlerischen Therapien, die Rhythmische Massage und die Heileurythmie setzen bei der Förderung der gesund gebliebenen Schichten an. In der Förderung solcher «Patientenkompetenz» ortet das Bundesamt für Gesundheit ein Sparpotenzial von 1,5 Milliarden Franken pro Jahr!

Gesundheitskräfte aus sich selbst schöpfen.

Die Bedeutung dieser auf Salutogenese orientierten Heilkunde für das gesamte Gesundheitswesen und seine Finanzierbarkeit wird noch ungenügend erfasst. Unsere spezialisierte technikorientierte Medizin arbeitet sehr analytisch: Der Patient erhält eine Diagnosenliste als möglichst vollständige Aufzählung all seiner Defekte und einen Therapieplan mit den passenden Gegenmitteln. In den neuen Finanzierungsmodellen werden Ärzte und Spitäler nach Anzahl und Schweregrad dieser Diagnosen entschädigt (DRGs = Diagnosis Related Groups). Indem die Gesundheitspolitik derart auf den kranken Menschen setzt, wird sie sich mit Sicherheit weiter verteuern. Es gäbe auch andere Diagnose- und Finanzierungsmöglichkeiten. So hat die WHO z.B. schon vor sieben Jahren eine Klassifizierung eingeführt, welche «die integrale Beurteilung und günstige Beeinflussung des Wohls und der Funktionsfähigkeit des Patienten» zum Ziel hat.

Selbstheilung und Selbstkompetenz fördern

Die schweizerische PEK-Studie (Programm Evaluation Komplementärmedizin, s. Beitrag von Dr. P. Heusser auf Seite 4) hat gezeigt, dass die Sprechstunde beim anthroposophischen Arzt im Durchschnitt länger dauert als beim schulmedizinischen Doktor. Dafür fallen dann weniger Kosten an für Labor- und Röntgenuntersuchungen und für Medikamente, sodass die Behandlung insgesamt deutlich billiger kommt. Die deutsche AMOS-­Studie (Anthroposophic Medicine Outcome Study) hat zudem ergeben, dass die Anthroposophische Medizin, auch unter Einbezug von Heileurythmie, Rhythmischer Massage und der künstlerischen Therapien längerfristig kostengünstig ist. Im Durchschnitt mussten die Patienten pro Jahr einen Tag weniger hospitalisiert werden. Anthroposophische Medizin spricht als salutogenetisch orientierte Heilkunde und Heilkunst stets die Selbstheilungskräfte und die Selbstkompetenz des Patienten an. Die Kräfte also jenes Selbsts, welches auch in der Krankheit gesund bleibt.

Dr. med. Hansueli Albonico, Chefarzt Komplementärmedizinische Abteilung Regionalspital Emmental AG, Langnau