Zum Heilmittelschatz der Natur
Wer kennt sie nicht, die Hausmittel. Salbeitee bei Halsschmerzen, Isländisch Moos bei Husten, Fenchel- und Kamillentee bei Magenverstimmungen. Aber wer hatte diese Pflanzen als wirksam erkannt?
Die Spuren vieler bekannter Naturheilmittel wie Arnika, Johanniskraut, Weissdorn, Beinwell und Calendula verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Es finden sich Eintragungen in Kräuterbüchern des Mittelalters, zum Teil schon bei den alten Römern, Griechen und Persern. Aber wie kamen die Ärzte dieser Zeit auf ihre Ideen?
Mit offenen Augen und wachem Geist
Vor ein paar Jahren hat ein universitäres Forschungsteam aus England, der Schweiz und Mali ein neues wirksames Malariamittel aus einer Pflanze, dem Stachelmohn, entwickelt. Der Entwicklungsprozess dauerte sechs Jahre, die Kosten lagen unter 0,5 Millionen Franken – das ist weniger als ein Promille der üblichen Entwicklungskosten für neue Arzneimittel.
Die Forscher befragten die Einwohner verschiedener Dörfer in Mali, wie Malaria traditionellerweise behandelt wird und wie hoch der Erfolg dieser Behandlung war. Da verschiedene Dörfer durch mehrere traditionelle Heiler betreut werden, waren die Strategien durchaus unterschiedlich. Eine der Behandlungen wurde im Urteil der Betroffenen als zu 100 % wirksam beschrieben: eine Abkochung aus Stachelmohn.
Im weiteren Verlauf der Untersuchung wurde durch die Wissenschaftler eine klinische Studie durchgeführt, um die aus ihrer Sicht optimale Dosis zu bestimmen – sie lag bei der traditionell eingesetzten Dosis. Danach wurde der Stachelmohn-Extrakt mit der etablierten Standardbehandlung (Artesunat-Amodiaquin) verglichen und erwies sich als praktisch gleich wirksam bei etwas weniger Nebenwirkungen.
Man kann sich fragen, wie ein traditioneller Heiler auf die Idee kam, aus Stachelmohn einen Extrakt herzustellen. War das reines Ausprobieren? Oder haben traditionelle Heiler noch andere Quellen des Wissens, aus denen sie schöpfen? Kann es sein, dass traditionelle Heiler aus Mali um ein Vielfaches effizienter sind als unsere moderne pharmazeutische Industrie?
Die Bedeutung der Intuition
Naturheilmittel sind oft sagenumwoben, wie das Beispiel der Mistel und der keltischen Druiden zeigt. Deutet dies auf andere Quellen der Erkenntnis, zum Beispiel auf Intuition?
Albert Einstein habe einmal gesagt «Die Intuition ist ein göttliches Geschenk, der denkende Verstand ein treuer Diener. Es ist paradox, dass wir heutzutage angefangen haben, den Diener zu verehren und die göttliche Gabe zu entweihen.»
Aus der Intuition heraus erschien Steiner – dem Begründer der anthroposophischen Medizin – das Wesen der Mistel dafür geeignet, Krebserkrankungen zu behandeln. Erst Jahrzehnte später entdeckten Wissenschaftler wirksame Stoffe in der Mistel und dokumentierten die klinische Wirksamkeit. Gingen die traditionellen Heiler aus Mali einen ähnlichen Weg wie Steiner? Ein Labor stand ihnen ja nicht zur Verfügung.
Ist die Intuition heute noch geeignet, die pharmazeutische Forschung und Entwicklung zu inspirieren? Aus rein pragmatischen Kosten-Nutzen-Überlegungen erscheint es sinnvoll, diese Option ernst zu nehmen. Die Kosten für die Entwicklung eines neuen chemischen Arzneimittels, welches auf den konventionell üblichen Wegen entsteht, sind von 100 Millionen Franken in der 70er-Jahren auf derzeit rund 2000 Millionen Franken gestiegen, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. In absehbarer Zukunft werden sich die Gesundheitssysteme auch reicherer Länder wie der Schweiz die Kosten solcher Arzneimittel kaum mehr leisten können.
Potenzial der Natur
Die angeführten Beispiele des Stachelmohns und der Mistel zeigen das grosse Potenzial von natürlichen Arzneimitteln auf, auch für ernsthafte Erkrankungen wie Malaria und Krebs. Die Natur hält für uns Menschen noch ein grosses und nicht ausgeschöpftes Potenzial an wirksamen und nebenwirkungsarmen Arzneimitteln bereit. Wir müssen uns nur dafür interessieren und uns damit beschäftigen.
PD Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner
Die Entwicklung neuer Naturheilmittel braucht innovative Finanzierungsmodelle
Wie werden neue Arzneimittel entwickelt, und wie wird diese Entwicklung finanziert? Das übliche Vorgehen in der pharmazeutischen Industrie ist so, dass für die Behandlung bestimmter Krankheiten neue Substanzen erfunden und hergestellt werden. Damit diese als Erfindung gelten und patentiert werden können, dürfen sie in dieser Form in der Natur nicht vorkommen.
Der übliche Prozess der Arzneimittel-Entwicklung ist sehr zeit- und kostenaufwendig. So müssen für die Entwicklung eines einzigen neuen Arzneimittels Millionen von Einzelsubstanzen in Zellkultur- und Tierversuchen vorselektioniert und genau untersucht werden, damit vielleicht zehn neue Präparate in klinischen Studien am Menschen geprüft werden können. Von diesen zehn neuen Substanzen bleibt ein Präparat übrig, das sowohl therapeutisch erfolgreich ist als auch tolerierbare Nebenwirkungen hat.
Man rechnet heute für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels mit einer Zeitdauer von 15 bis 20 Jahren. Die enormen Kosten können nur dank dem exklusiven Patentschutz finanziert werden. Dieser Patentschutz erlaubt, das Präparat dann zu einem Preis zu verkaufen, der die Entwicklungskosten deckt und auch noch Gewinn abwirft.
Vergleichbare Bedingungen für die Naturheilmittelforschung
Dieses Finanzierungsmodell funktioniert für die Naturheilmittel nicht, weil Natursubstanzen schwer zu patentieren sind. Deshalb hat die pharmazeutische Industrie in der Regel kaum Interesse an der Neuentwicklung von natürlichen Heilmitteln. Aufgrund der Gesetzeslage haben damit primär Universitätsinstitute und gemeinnützige Institutionen Interesse an Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Naturheilmittel, sei es aus akademischen, idealistischen oder humanitären Gründen. Solche Projekte müssen deshalb durch Stiftungen, Zuwendungen Privater oder Trägerschaften finanziert werden.
Würden für die Naturheilmittelforschung patentrechtliche Alternativen und andere Finanzierungsmodelle vorliegen, könnten mit einer breiteren Palette von Naturheilmitteln die Gesundheitskosten gesenkt werden.
PD Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner
Pharmazeutische Entwicklung im Verein für Krebsforschung
Zu den Hauptzielen des 1935 gegründeten Vereins für Krebsforschung gehört die Entwicklung von neuen Naturheilmitteln für die integrative anthroposophische Onkologie. Der in Arlesheim ansässige gemeinnützige Verein betreibt hierzu eine Forschungsabteilung, die weltweit zu den wenigen Organisationen gehört, die Präparate auf natürlicher Grundlage zur komplementären Behandlung von Krebserkrankungen entwickeln. Bekanntestes Beispiel ist ein Mistelpräparat, das in der Schweiz hergestellt und vertrieben wird.
Derzeit in Entwicklung befinden sich weitere Naturpräparate, darunter eine Salbe mit einem fettlöslichen Mistelextrakt, mit der in Einzelfällen sehr gute Wirkungen bei Basalzellkarzinomen, Plattenepithelkarzinomen und der aktinischen Keratose – einer Vorstufe einer Hautkrebserkrankung – erzielt werden konnten. Ziel dieser Entwicklungen ist, einer wirksamen und verträglichen Krebsbehandlung auf natürlicher Basis immer näher zu kommen.
Der Verein für Krebsforschung finanziert die Forschungs- undEntwicklungsarbeit durch Spenden und Zuwendungen sowie Lizenzeinnahmen. Letztere decken jedoch nur einen kleinen Teil der Forschungs- und Entwicklungskosten neuer Heilmittel. Der Verein sieht seine Tätigkeit im Dienst des öffentlichen Interesses und ist als gemeinnützig anerkannt, Spenden an den Verein sind in der Schweiz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen steuerlich abzugsfähig.
Dr. rer. nat. Gerhard Schaller