FondsGoetheanum: Pädagogik und Kleinkinderziehung

Bildung - von Geburt an

Kinder bringen mit dem ersten Atemzug den Drang mit, sich selber zu bilden. Sie sind motivierte Lernende, hellwach, selbstbewusst, wissend und haben einen ungeheuren Gestaltungs- und Lernwillen. Sie wollen die Erde, die Gesellschaft kennen lernen, sie bewegen und verändern. Bildung beginnt mit der Geburt.

In der Gehirnforschung wurde durch die Anwendung so genannter bildgebender Verfahren mittlerweile herausgefunden, dass das Gehirn ein adaptives Organ ist und sich Nervenzellverschaltungen im Gehirn verändern, wenn der Mensch neue Erfahrungen macht.

Neurobiologie und nichtmaterielle Kräfte

Seitdem ist auch in der Neurobiologie die Vorstellung möglich, dass es nichtmaterielle Kräfte gibt, die einen entscheidenden Einfluss auf die Strukturen des menschlichen Gehirns haben.1
Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaften haben mit dem Aufbruch ins 21. Jahrhundert die bisherigen Muster der Bildungsforschung verändert. Diese hat realisiert, dass Kinder keine Belehrungspädagogik brauchen. Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Universität Göttingen (DE), und Lise Eliot, Professorin für Neurobiologie an der Universität Chicago, stellen beide fest: Angeboren ist nur die Fähigkeit, sich bewegen, gehen, sprechen, lesen erlernen zu können. Die Gene dafür sind vorhanden und die Nervenzellen auch. Die dafür vorgesehenen Verschaltungen im Gehirn entstehen aber nicht von allein, sondern formen sich erst allmählich heraus, wenn das Kind die Gelegenheit bekommt, diese Fähigkeiten tatsächlich selbst zu erlernen und einzuüben. Diese Einsicht ruft nach pädagogischen Konzepten, die sich an den Bedürfnissen des Kindes orientieren.

Erziehung kommt von Beziehung

Kinder sind keine Gefässe, in die ein Wissen hineingefüllt werden kann von dem, was die Erwachsenen für wichtig erachten. Sie lernen, indem sie zunächst mit anderen Menschen, die ihnen wichtig sind, und später auch mit all dem, was diesen Menschen wichtig ist, in Beziehung treten.
Deshalb brauchen sie Erziehende, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln und ihnen bei der Lösung von Problemen behilflich sind. Nur so können sie Vertrauen entwickeln: Vertrauen in die Kraft Sicherheit gebender Beziehungen zu anderen Menschen und Vertrauen in ihre eigene Kraft, ihr Wissen, ihr Können und ihre gestalterischen Möglichkeiten.
Die Möglichkeiten und Fähigkeiten, die jedes Kind im Ansatz mitbringt, dieser Schatz darf nicht verlorengehen. Ausgehend von oben genannten Erkenntnissen ergeben sich für die Bildung in der Kindheit folgende Kernpunkte:

  • Kinder selbstbestimmt, nicht fremd bestimmt eigene Erfahrungen machen lassen, auch grundlegende Erfahrungen in der Natur.
  • Die gesamte Sinnes- und Wahrnehmungsentwicklung von Kindern durch eine entsprechend gestaltete Umgebung fördern.
  • Kindern unterstützende Vorbilder geben, die eine konstant liebevolle, herzliche, einfühlsame Beziehung aufzubauen bereit sind.
  • Kinder nicht mit Mengen von Spielzeug (von Erwachsenen ausgedacht) umgeben, sondern eine Umgebung gestalten, die reichhaltigste Materialien anbietet, welche zum Forschen und Erkunden und zur Eigenaktivität im freien Spiel anregen.
  • Kindern viel Wiederholung und Rhythmus für ihre Aktivitäten gewähren.
  • Angst und Stress vermeiden.
  • Kindern Anfänge sprachlicher und musikalischer Bildung vermitteln.

In den Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz ist der schulische Entwicklungsraum mit der so genannten Elementarstufe neu definiert worden. Kindertagesstätten, Eltern-Kind- oder Krabbelgruppen, Spielgruppen und Kindergärten sowie die erste und zweite Klasse der Schule haben eines gemeinsam: Sie sind Bildungsinstitutionen der frühen Kindheit im obigen Sinne. Sie sind ausgerichtet auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder.

Bettina Mehrtens-Moerman

www.elementarpaedagogik.ch


1 Weiterführende Literatur:
Gerald Hüther: Biologie der Angst, Wie aus Stress Gefühle werden; Sammlung Vandenhoeck 1997

Manfred Spitzer: Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens; Spektrum Akademischer Verlag 2002

Lise Eliot: Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten fünf Lebensjahren; Berlin Verlag 2001