Nachbaufähige Sorten sind entwicklungsfähig
Kulturpflanzen sind seit Jahrtausenden Begleiter des Menschen. Sie haben sich gewandelt, weiter entwickelt, den Bedingungen und Bedürfnissen der Umwelt angepasst. Nachbaufähige Sorten tragen die Qualität dieser Entwicklung und Anpassung in sich. Darum sind sie so wichtig.
Unsere Kulturpflanzen begleiten die Menschheit seit frühester Zeit. Sie haben sich immer wieder verwandelt und den vielen Wünschen angepasst, welche die Menschen an sie herangetragen haben, wie zum Beispiel mehr Ertrag, bessere Widerstandsfähigkeit gegen tierische Schädlinge, gegen Bakterien oder Viren, ein anderer Geschmack, bessere Backeigenschaften usw.
Gleichzeitig hat sich auch die Art, wie die Bauern ihre Felder bewirtschaften, verändert. Erst vor ca. 100 Jahren begann die Ära des chemischsynthetischen Mineraldüngers, die raschen Veränderungen durch den Klimawandel sind noch jüngeren Datums. Unsere Kulturpflanzen waren bis jetzt in der Lage, all diese menschlichen Veränderungs- und Anpassungswünsche auf ihre Art umzusetzen.
Die Ertragsleistung bei Weizen ist erst im 20. Jahrhundert – also innerhalb einer an der Gesamtdauer der Kulturpflanzenentwicklung gemessen relativ kurzen Zeit – von 1,5 t auf 10 t/ha gestiegen. Dieser enorme Zuwachs hängt einerseits mit der Intensivierung der Landwirtschaft durch Düngung, Pflanzenschutz und Mechanisierung zu sammen. Zum anderen steckt darin aber auch eine kolossale züchterische Leistung, wie z.B. die Hybridsorten. Aber Hybridsorten haben auch grosse Nachteile und Mängel, die sich beispielsweise bei der Nahrungsqualität zeigen, und langfristig nachbaufähig sind die Hybridsorten nicht.
Entwicklungsfähigkeit ist entscheidend
Für die Zukunft der biologischen und biodynamischen Landwirtschaft sind nachbaufähige Sorten sehr wichtig. Nachbaufähige Sorten werden vielfach auch als «samen-feste Sorten» bezeichnet. Dieser Begriff vernachlässigt aber die Tatsache, dass sich Kulturpflanzen immer in Entwicklung befinden. Selbst bei seriöser Erhaltungszüchtung wird sich über viele Jahre jede Sorte kontinuierlich leicht verändern, denn die Umwelt um sie herum entwickelt sich ja auch weiter. Der Begriff «samenfest» suggeriert in einer Zeit, in der Vieles im Wandel ist, eine Stabilität, die es bei Pflanzen so nicht gibt. Das Entscheidende ist eben nicht die Festigkeit, sondern die Entwicklungsfähigkeit von Pflanzenpopulationen.
Nachbaufähige Sorten sind entwicklungsfähige Sorten. Der Züchter kann sie als Kreuzungspartner für neue, zukünftige Sorten verwenden. Aus ihnen kann er aber auch neue Selektionen für andere Anbaubedingungen entwickeln, genauso wie der Bauer, wenn er das will, eine spezielle Anpassung an seine individuellen Hofbedingungen vornehmen kann. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass nachbaufähige Populationssorten gute Erträge und gute Qualitäten erzeugen können.
Biologische Pflanzenzüchtung
Züchten für den Biolandbau heisst, die Pflanze aufmerksam wahrzunehmen, zu spüren, welche Eigenschaften und Fähigkeiten in ihr schlummern, die der Züchter wecken kann.
Die biologische Pflanzenzüchtung gibt es erst seit 40–50 Jahren. An ihrem Alter gemessen hat sie bereits Erstaunliches geleistet und ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die Verwendung dieser Sorten erhält das wichtige, fruchtbare Gleichgewicht zwischen Züchtern und Landwirten. Ohne eine gute Zusammenarbeit zwischen beiden kann es keine guten neuen Sorten geben.
Aber auch in der biologischen Landwirtschaft sind die Zeiten vorbei, in denen Bauern zugleich Züchter und Saatgutproduzent waren. Züchter, die nachbaufähige Sorten entwickeln, sind auf einen fairen Interessensausgleich mit den Landwirten angewiesen, um ihre Arbeit auch dauerhaft finanzieren zu können. Erfolgt dies nicht, führt die Entwicklung unweigerlich zurück zu Hybridsorten, Patentierung- und Saatgutmonopol.
Zukunftsperspektiven
Ohne den starken Fokus auch der staatlichen Forschungsanstalten auf nachbaufähige Sorten wird sich die Saatgutbranche weiter in Richtung der Multis und Monopole entwickeln. Neue Hybridsorten werden die Rentabilität der Saatgutindustrie erhöhen und den Konzentrationsprozess der Branche in einem Bereich beschleunigen, der bisher noch nicht so stark von Konzernen dominiert war. Langfristig gesehen wird diese Konzentration für die Landwirtschaft negative Auswirkungen haben, und damit auch für die Konsumenten.
Mehr denn je braucht es in Zukunft im Biolandbau gute Erträge der angebauten Pflanzen mit gleichzeitig guter Nahrungsqualität, aus denen gut schmeckende Produkte entstehen können. Der Biohof muss mit seinen individuellen Möglichkeiten arbeiten können. Der Biolandbau braucht eine noch grössere Sorten- und damit auch eine grössere Züchtervielfalt. Nachbaufähige Sorten legen dazu die Grundlage.
Amadeus Zschunke,
Sativa AG