FondsGoetheanum: Zukunft gestalten

Verein Anfora, Betreutes Wohnen und Arbeiten

  • Gegründet: September 2003
  • 24 Mitarbeitende in Teilzeit
  • 34 Menschen in Begleitung
  • Miete von 3 Häusern und 10 Wohnungen
  • 7 Arbeitsbetriebe, davon 4 in Kooperation

www.anfora.ch

«Den Lohn Anfang Monat zu erhalten, fördert Vertrauen und Verantwortung.»

 

 

 

«Es braucht ein Zusammenspiel von innen und aussen.»

 

 

 

 

 

 

 

Nimm mich
Als Frage
So kann ich
Wachsen.

Antwort
Will ich
Dir
Geben.

Durch alle
Augenblicke
Wahrer
Aufmerksamkeit. 

Nimm mich
Bis zuletzt

Als Frage
So kann ich
Wachsen.

 

Doris Halma

Nimm mich als Frage

Kennst du das Gefühl, dass tief in dir ein Wunsch, eine Idee, ein Ideal lebt, das eine gewisse Farbe und Grundstimmung hat, aber schwer in Worte zu fassen ist und unbedingt gefunden werden will?

Dieses Gefühl lebte in mir, seitdem ich ein junges Mädchen war. Viele Jahre war ich auf der Suche, ich machte Ausbildungen, begegnete vielen Menschen und lernte Orte kennen, die mir halfen, irgendwann meinen Wunsch in Worte fassen zu können: «Eine Gemeinschaft für Menschen, die aus krankheits- oder sozialbedingten Gründen Hilfe brauchen, in der ein stets gegenseitiges Lernen stattfindet».

 

Steht der Kern, kommt der Kreis zu Hilfe

Nachdem mein Mann und ich immer wieder mit anderen Menschen nach Umsetzungsmöglichkeiten gesucht hatten, mussten wir erkennen, dass der Moment eines Gründungsimpulses schliesslich alleine in die Tat umgesetzt werden muss. Ich erlebte diesen Moment der Entscheidung wie ein notwendiges Zusammenballen von Kräften wie Mut, Vertrauen, Enthusiasmus und Verantwortung. Nach diesem «Engpass» war das «Jawort» eine grosse Erlösung. Es war, als ob bei diesem Entscheidungsmoment des «wir machen es» die zusammenziehende Kraft im Mittelpunkt sich auflöste – und gleich danach vom Umkreis her die Hilfe kam.

Unsere Initiative Anfora bekam Hilfe für den Umbau eines alten Hauses und erhielt finanzielle Unterstützung von einzelnen Menschen. Andere wollten beim Projekt als Mitarbeiter einsteigen. Viele junge Menschen halfen beim Umbau tatkräftig mit. So ist die Initiative über die Jahre hinweg ein Werk vieler für heute 34 Menschen mit einer psychischen oder kognitiven Beeinträchtigung in unterschiedlichen integrativen Wohn- und Arbeitsangeboten geworden.

 

Was es braucht, damit die Organisation organisch bleibt

«Nimm mich als Frage», so beginnt das Gedicht von Doris Halma am Anfang unseres Leitbildes. Mit dieser Grundhaltung können Organisationsformen in der Weise beweglich werden, dass sie sich verändern, sobald ein Mitarbeiter oder eine Bewohnerin neu dazukommt oder weggeht. Es ist Tatsache, dass ein Raum sich verändert, sobald ein Mensch in ihn eintritt. Das Verhältnis zwischen den bereits anwesenden Menschen verändert sich, aber auch die Verhältnisse in der Luft, zwischen den Stühlen und den Wänden verändern sich. Genauso werden sich auch Vereinbarungen und Gewohnheiten, die sich eingenistet haben, verändern und neuen Fähigkeiten und Bedürfnissen, die dazukommen, Ort und Raum geben.

Die Anregungen von Rudolf Steiner über den dreigliedrigen Menschen sind mir eine grosse Hilfe, wenn ich Klarheit darüber finden will, was für den Menschen in welchem Bereich in einer Organisation wichtig ist. Wo wollen die Mitarbeitenden gleich behandelt werden, wo wollen sie ganz alleine angehört werden und wo geht es darum, dass der andere oder die ganze Gemeinschaft Vorrang hat?

 

Lohn zum Voraus, nicht als Belohnung

Wie wäre es, wenn eine Einrichtung das Gehalt der Mitarbeitenden nach deren Lebensbedarfsaufwand berechnen würde und nicht nach der Stellung und dem Blick auf die Vergangenheit, also den Erfahrungsjahren und der Ausbildungsgradierung? Wie wäre es, wenn der Grundansatz, dass der Mensch für den anderen arbeitet, sichtbar würde, indem er seinen Lohn nicht als Belohnung nach seiner Arbeit erhält, sondern am Anfang des Monats als Grundlage und Voraussetzung dafür, dass er seine Bedürfnisse im kommenden Monat decken kann?

Seit 20 Jahren machen wir die Erfahrung, dass, wenn ich das Geld voller Vertrauen von der Gemeinschaft am Anfang des Monats erhalte, ich mich frei und mitverantwortlich fühle, mein Bestes in die Arbeit und so wiederum in die Gemeinschaft zu geben. Diese Gehaltsform ist eine grosse Hilfe dabei, den Blick aufs Ganze und in die Zukunft zu richten.

 

Nur Mut, er führt zur Lösung

Wenn eine neue Initiative entstehen will und ich sicher sein will, dass diese Initiative auch gebraucht wird, dann habe ich gelernt, immer besser zu hören und wahrzunehmen, was von aussen auf mich zukommt.

Eine Bewohnerin wollte unbedingt in der befreundeten nah gelegenen Gärtnerei arbeiten. Obwohl wir wussten, dass eine solche Aufgabe eine Herausforderung ist, da diese Frau ja Begleitung brauchte, wagten wir eine erste Anfrage bei den Gärtnern. Es ergab sich, dass gerade zu dieser Zeit die Gärtner, angeregt durch andere ähnliche Anfragen, offen waren und nach Lösungen suchten.

So setzten wir uns zusammen und es entstand daraus ein neuer Bereich von Anfora, in dem heute viele Menschen in verschiedenen beruflichen Tätigkeiten einen integriert begleiteten Arbeitsplatz haben.

Der Beginn dafür waren die Frage und der Wunsch eines einzigen Menschen. Meistens spricht ein Mensch einen Wunsch aus, der für viele Menschen gilt. Das Wichtige ist, diesen Wunsch zu hören, auch wenn er vielleicht nicht in Wörtern ausgesprochen wird, und ihn so ernst zu nehmen, dass daraus eine Tat folgt.

 

Aus einer Frage entstanden: Der Mittagstisch

Ein anderer Mann konnte auf Grund von verschiedenen psychischen Krankheitseinschränkungen keinem für ihn fremden Menschen begegnen, und so konnte er nur mit Begleitung seine Wohnung verlassen. Er war der Anstoss dafür, dass wir einen offenen Mittagstisch eröffneten, an dem er an einem für ihn geschützten Ort vorsichtig üben konnte, mit fremden Menschen zusammenzusitzen. Diesen offenen Mittagstisch nutzen nun viele Gäste, Nachbarn und Handwerker. Den Gründungsimpuls weiss niemand mehr, ich denke aber, dass er weiter wirkt an diesem fröhlichen Begegnungsort.

Bei einer Initiative geht es also darum: die Frage zu hören, sie ernst zu nehmen und nach Lösungen zu suchen, den Mut zur Entscheidung zu finden und schliesslich bereit zu sein, mit viel Tatkraft und Treue das Vorgenommene umzusetzen und zu pflegen. Dabei braucht es ein Zusammenspiel von innen und aussen. Menschen, die selbst aktiv werden und einen Impuls umsetzen, und andere Menschen, die unterstützen, sei es finanziell, praktisch oder ideell.

 

Wenn die Idee zur Initiative wird

Der Moment des Beginn-Entscheides für eine neue Initiative erinnert mich an einen besonderen Augenblick in meiner Kindheit: Eine Überraschung und Riesenfreude war es, als ich plötzlich im Gleichgewicht zwischen rechts und links, aufrecht strampelnd alleine Fahrrad fahren konnte. Es ist, als ob in diesem Moment die vielen Wenns und Abers abfallen würden und eine geistige Kraft den nötigen Halt und Anstoss in die Fahrtrichtung gibt.

Erika Schär, Heimleiterin und Mitbegründerin vom Verein Anfora

 

Diese Organisationen tragen mit.